Das Projekt „Kritische Gesamtausgabe des Nachlasses von Ferdinand Ebner“ besteht seit dem Jahr 1998. Es wurde bisher von der Österreichischen Nationalbank und in drei Etappen vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) bewilligt. Es umfasst in seiner aktuellen Form die historisch-kritische Bearbeitung jener Schriften Ferdinand Ebners, welche für das Verständnis des in den beiden früheren Phasen des Projekts bereits erfassten Textcorpus relevant sowie für die Vervollständigung der in Druck befindlichen Gesammelten Werke erforderlich sind. Indem das bereits erarbeitete Material vom bisher verwendeten FOLIO-Flat-File-Format auf den auf XML beruhenden international anerkannten Textauszeichnungsstandard TEI (Text Encoding Initiative) umgestellt wird, wird ein völlig neues, modernes Fundament für die künftige Ferdinand-Ebner-Forschung geschaffen.

Richard Hörmann, der Leiter des Projekts, studierte zunächst Elektrotechnik und dann Philosophie. Seit 2006 steht er dem vom FWF geförderten und am Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck angesiedelten Projekt „Kritische Herausgabe des Gesamtnachlasses von Ferdinand Ebner“ vor. Der folgende Text beruht auf einem Vortrag, den Richard Hörmann beim Ferdinand-Ebner-Symposium 2007 in Gablitz bei Wien gehalten hat.

Richard Hörmanns Vortrag umfasste die inhaltlichen und technischen Aspekte des Ferdinand-Ebner-Projekts sowie die Arbeitsweise, mit der bei der Herausgabe und Auszeichnung des Gesamtnachlasses Ebners vorgegangen wird.

Ausgangspunkt für das Projekt war von Anfang an die Annahme, dass der von Ferdinand Ebner entwickelte sprachphilosophische Ansatz sich in der Folge philosophisch, theologisch, kulturgeschichtlich und kunsttheoretisch nachhaltig ausgewirkt hat und auswirkt und dementsprechend verfolgt werden kann. Durch die spezifische Form, in die Ebner seine Dialogphilosophie in seinem Hauptwerk „Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente“ gefasst hat, wurde er zu einem der Gründungsväter des „Dialogischen Personalismus“. Das neue seines Ansatzes bestand einerseits in einem relationalen Verständnis des menschlichen Bewusstseins und andererseits in einer besonderen Berücksichtigung der Sprache, mit der dieses Verständnis begründet wird. Bedeutet das erste für Ebner, dass das menschliche Ich nur in Beziehung zu einem konkreten Du existieren kann, so das zweite, dass die geistige Realität des Ich an die Sprache gekoppelt wird, mit der sie ausgesprochen wird. In der Aussprache des Satzes „Ich bin“ erhält das Geistige im Menschen seine konkrete und einmalige Existenz. Da das Wort einen Sprecher impliziert, der es aussagt, und einen Angesprochenen, der es aufnimmt und versteht, ist in der Bindung des Ichs an das Wort auch seine Beziehung zu einem Du enthalten, das im Satz „Du bist“ angesprochen und dadurch ebenfalls als geistige Realität geschaffen wird.

Dieses Konzept enthält nun nicht nur Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit der Sprachauffassung Ludwig Wittgensteins, sondern auch die gegensätzlichen Perspektiven zum Denken des Wiener Kreises und die inspirierende Wirkung von Ebners Denken auf den großen Hermeneutiker Hans Georg Gadamer lassen sich herausstellen. Darüber hinaus hat Martin Buber wichtige Anstöße zu seinem Buch „Ich und Du“ aus den in der von Ludwig von Ficker herausgegeben Kulturzeitschrift Der Brennerab 1919 publizierten Aufsätzen Ferdinand Ebners und aus den „Fragmenten“
gewonnen. Eminenten Einfluss hatte Ebners Philosophie auf die protestantische Theologie der 1920er-30er-Jahre, insbesondere etwa auf Emil Brunner oder Friedrich Gogarten. Demgegenüber blieb der Einfluss auf die katholische Theologie lange Zeit verborgen. Erst kurz vor dem 2. Vatikanischen Konzil haben sich katholische Theologen wie etwa Karl RahnerRomano Guardini oder Bernhard Casperimmer stärker zu Ferdinand Ebner bekannt. Es kann dies auch als Ergebnis zunehmenden interkonfessionellen Dialogs verstanden werden, der durch die Dialogphilosophie sachlich wie historisch begründet werden konnte. Historisch insofern, als sowohl jüdische (Franz Rosenzweig), protestantische (Eugen Rosenstock-Huessy) wie auch katholische Denker (Ferdinand Ebner) diese fast zeitgleich entwickelten.

Vor diesem Hintergrund sowie aufgrund der weiten internationalen Verbreitung der wissenschaftlichen Rezeption von Ferdinand Ebners Denken wurde die Veröffentlichung sämtlicher Schriften des Gablitzer Philosophen zunehmend gewünscht. Ein Wunsch dem das Ferdinand-Ebner-Projekt nachzukommen sich verschrieben hat. Zwar liegt mit einer Ausgabe durch Franz Seyr seit den 1960er Jahren die bislang umfangreichste Edition von Schriften Ferdinand Ebners vor, doch ist diese Ausgabe mittlerweile vergriffen, gilt als veraltet und stellt außerdem nur eine Auswahl bereit. Dazu kommt, dass auf dem deutschen Buchmarkt Schriften von Ferdinand Ebner lange Zeit nicht mehr zu erhalten waren. Ein Einblick in das Quellenmaterial gibt nun unmissverständlich zu erkennen, dass zu einer heute zeitgemäßen Einschätzung des Lebenswerks und des geistigen Profils dieses Denkers eine komplexe und umfassende Aufarbeitung aus kulturgeschichtlicher Sicht gehört. Das Ferdinand-Ebner-Projekt verbindet sich also mit der wissenschaftlichen Fragestellung nach der Zugänglichkeit des Nachlasses von Ferdinand Ebner für eine vielfach interessierte geistes- und kulturwissenschaftliche Forschungstätigkeit. Abgezielt wird mit einer Gesamtediton der Schriften Ebners auf einen wissenschaftlichen Rezeptionsschub, wie er sich schon im Gefolge der Seyr-Ausgabe gezeigt hatte, sowie auf eine Änderung des Diskurses über die Positionen Ebners, um bislang teilweise einseitigen Darstellungen der Auffassungen Ebners entgegenzuwirken. So fand die Kultur- und Gegenwartskritik Ferdinand Ebners im wissenschaftlichen Diskurs bislang noch nicht jene Beachtung, die ihr gebührt.

Die im Rahmen des Ferdinand-Ebner-Projekts in Arbeit befindliche Gesamtedition ist als Hybridedition angelegt und besteht aus einer Druck- und einer Computerfassung. Zeichnet sich die Druckfassung durch einen umfangreichen fachphilosophischen und kulturgeschichtlichen Kommentarteil aus, so enthält die maschinenlesbare Fassung auch die textkritische Auszeichnung des jeweiligen Quellentextes. In der wissenschaftlichen Aufarbeitung wird dabei einer synchronen Bearbeitung und Herausgabe der Texte gegenüber einer diachronen der Vorzug gegeben. Damit sollen Nachteile der diachronen Arbeitsweise umgangen werden. Diese bestehen u. a. darin, dass die in relativ großen Zeitabständen herausgegebenen Werke jeweils nur auf dem zum Zeitpunkt der Herausgabe vorhandenen Wissensstand beruhen, während der Inhalt anderer, noch nicht bearbeiteter Werke unberücksichtigt bleibt. Eine synchrone Arbeitsweise versucht diesem Mangel zu begegnen, indem sie zunächst einen möglichst großen Textbestand zu bearbeiten sucht, um den dabei gewonnenen Wissenstand in die dann in sehr kurzen Zeitabständen in Druck gehenden Ausgaben einfließen lassen zu können.

Ein wesentlicher Teil des Vortrages von Richard Hörmann war den technischen Aspekten des Projektes gewidmet gewesen. Gerade die zur Zeit laufende dritte Phase des Projektes ist unter Federführung des Projektmitarbeiters Markus Flatscher, der durch seine Ausbildung philologisches mit technischem Wissen zu verbinden vermag, geprägt durch die Umstellung der technischen Grundlage der Ebner-Ausgabe vom früheren FOLIO-Flat-File-Format des Programms Folio Views auf TEI/XML (Text Encoding Initiative). Folio Views zeichnete sich zwar durch komplexe Suchfunktionen aus, die es ermöglichten, auch großer Datenmengen Herr zu werden, doch stellte der Rückgriff auf dieses Programm lediglich eine vorläufige Lösung dar. Zu dem Zeitpunkt, als das Ferdinand-Ebner-Projekt Ende der 1990er Jahre begann, war eine einheitliche Softwarelösung für editionsphilologische Aufgaben noch nicht vorhanden. Ein einheitlicher Standard liegt mit TEI/XML mittlerweile aber vor. Ein Standard, der verschiedenste Probleme, die beim Einsatz von Folio Views als editionsphilologisches Werkzeug auftreten, auszumerzen imstande ist.

TEI/XML bietet in Hinsicht auf Flexibilität sowie unter editionsphilologischen und archivarischen Rücksichten gegenüber älteren und anderen Lösungen eine Reihe von Vorteilen. Diese können folgendermaßen zusammengefasst werden:

  • XML als Sprache ist erweiterbar, d. h. Auszeichnungselemente können nach Bedarf definiert werden.
  • XML-Dokumente müssensyntaktisch wohlgeformt sein, d. h. sie müssen einer formal explizit definierten Syntax genügen. Nicht-wohlgeformte XML-Dokumente durchlaufen gar nicht erst die notwendigen Validierungsroutinen; eventuelle Fehler werden auf diese Weise so früh wie möglich entdeckt.
  • XML fokussiert auf inhaltlich-semantische Auszeichnung, nicht auf grafische Aspekte oder Formatierungs- und Satzfragen. Dies trägt entscheidend zur wünschenswerten Trennung zwischen editionsphilologischer Grundlagenarbeit einerseits und Satzfragen andererseits bei.
  • In die TEI-Richtlinien sind langjährige Erfahrungen von Philologen eingeflossen. Es ist kein Projekt von Programmierern.
  • Das Projekt ist als Mitgliederkonsortium konstituiert. Neue Erfahrungen können also jederzeit eingebracht werden.
  • Die Richtlinien geben jedem neuen Nutzer von XML eine fundierte Ausgangsbasis. Man muss nicht bei Null anfangen, sondern kann von der Erfahrung Anderer profitieren.
  • Durch die normierte DTD werden Texte schneller verstehbar und dadurch austauschbar. Es ist rascher oder überhaupt erst möglich, Kooperationsprojekte anzugehen.
  • Austauschbarkeit heißt auch, dass Transformationsregeln mit XSLT transportierbar werden.
  • Durch die normierte Notation bleiben die Texte letztlich auch archivierbar. Die Richtlinien werden zwar erweitert, aber niemals rückwirkend geändert. Damit können ältere Texte höchstens „primitver“ ausgezeichnet sein, niemals aber falsch.

(Vgl. Roland S.: E-Editionen. Zur neuen Praxis der Editionsphilologie: Ida und Richard Dehmel – Harry Graf Kessler. Briefwechsel 1898-1935 ,Phil. Diss. Tübingen 2004.)

Der Quelltext in TEI/XML von Ebners Hauptwerk “Das Wort und die geistigen Realitäten” im XML-Editor oXygen.

Ein anderer wesentlicher Vorteil von TEI/XML besteht darin, dass durch die Einfachheit der Anwendung auch technisch nicht versierte Personen lernen können, damit umzugehen. Im Rahmen des Ebner-Projekts hat sich dies – bei der bislang innerhalb des Projekts ersten auf der technischen Grundlage von TEI/XML beruhenden – Ausgabe, dem „Tagebuch 1916“ eindeutig erwiesen. Auch die Transformierbarkeit in andere Formate wie PDF oder HTML kann als Vorteil von XML/TEI angesehen werden. Leser der elektronischen Fassung der entstehenden Ferdinand-Ebner-Gesamtausgabe sind damit nicht, wie es beim Folio-Flat-File-Format der Fall ist, auf ein bestimmtes Programm angewiesen, um Zugang zu den Texten zu erhalten. Ein Umstand, dem auch die grundsätzliche Darstellbarkeit von XML-Dateien in jedem handelsüblichen Browser Rechnung trägt.

TEI-XML: Browseransicht von

TEI-XML: Browseransicht von “Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente” – Titelseite. So ähnlich wird die digitale Ausgabe von Ferdinand Ebners Hauptwerk aussehen.

TEI-XML: Browseransicht von

TEI-XML: Browseransicht von “Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente”, Seite 19, mit geöffnetem Kommentar. Die Darstellung gibt die Lesefassung wieder, in der textkritische Bearbeitungen nicht angezeigt werden.

TEI-XML: Browseransicht von Ferdinand Ebners Frühwerk “Ethik und Leben. Fragemente zu einer Metaphysik der individuellen Existenz”, S. 59, mit Fußnoten-Popup. In diesem Fall handelt es sich um eine im Original von Ebner selbst eingefügte Fußnote. Ihr Text wird angezeigt, sobald man den Mauszeiger über das Fußnotenzeichen x) bewegt. Gezeigt wird hier die diplomatische Fassung, in der die textkritischen Bearbeitungen sichtbar werden.

Wegweisend für andere, ähnlich gelagerte Projekte macht das Ferdinand-Ebner-Projekt auch die Vernetzung der Arbeit der einzelnen Mitarbeiter durch einen SVN-Server. Dieser dient als gemeinsames Depot sämtlicher mit dem Projekt assoziierter Dateien. Als Client wird der mit dem auch sonst zur Projektarbeit eingesetzten XML-Editor oXygen mitgelieferte verwendet. Er ermöglicht es den einzelnen Mitarbeitern, die lokal auf ihren Rechnern liegenden Dateien auf den jeweils neuesten Stand zu aktualisieren. Einzelne Dateien können damit von verschiedenen Mitarbeitern in der aktuellen Fassung bearbeitet werden, ja sogar gleichzeitig bearbeitet werden. Ein unschätzbarer Vorteil, wenn man es – wie es beim vorliegenden Projekt der Fall ist – mit örtlich weit verstreuten Mitarbeitern zu tun hat.

Der mit dem XML-Editor oXygen mitgelieferte SVN-Client syncro wird zur Synchronisation von Arbeitsdateien des Ebner-Projekts eingesetzt. Anhand der in der Verlaufsansicht aufscheinenden, von den Mitarbeitern erstellten Eincheck-Nachrichten, lassen sich Änderungen an den Dateien leicht nachvollziehen.

Mitarbeiter des Projekts sind zur Zeit:

Richard Hörmann (Projektleitung, Innsbruck)
Markus Flatscher (Rotunda, University of Virginia)
Ernst Pavelka (Innsbruck)
Krzystof Skorulski (Innsbruck)
Michael Schorner (Innsbruck)

Frühere Projektmitarbeiter waren:

Monika Seekircher
Matthias Flatscher (Wien)
Michael Blamauer (Wien)
Anna Rabensteiner (Südtirol)