Die Internationale Ferdinand-Ebner-Gesellschaft freut sich, Ihnen im Folgenden einen kurzen Überblick über die beim Ferdinand-Ebner-Symposium 2007 gehaltenen Vorträge bieten zu können. Die Reihenfolge entspricht der Reihenfolge, in der die Vorträge gehalten worden sind. Für die vollständigen Texte der Vorträge selbst möchten wir Sie auf den in Arbeit befindlichen Tagungsband verweisen. Mitglieder werden eine PDF-Datei des Tagungsbandes gegen einen geringen Unkostenbeitrag auf dieser Website zum Download vorfinden.

Die Eröffnung des Symposions wurde bestritten vom Gablitzer Bürgermeister Andreas Jelinek, der Organisatorin Renate Grimmlinger sowie Walter Methlagl. In seinem Eröffnungsvortrag gelang es Weihbischof Franz Scharl durch die Beibringung bisher unveröffentlichten Quellenmaterials in vorbildlicher Weise, Licht in eine Affäre zu bringen, bei der einer geplanten Herausgabe von Brenner-Aufsätzen Ebners unter dem Titel „Die Wirklichkeit Christi“ in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das kirchliche Imprimatur verweigert worden war.

Walter Methlagl (Innsbruck): Ferdinand Ebners Kritik der Gegenwart

„Die Reflexion ist nicht das Böse, sondern das Verharren in der Reflexion und der Stillstand in der Reflexion ist die Misslichkeit und die Verderbnis; sie veranlasst den Rückgang, indem sie die Voraussetzungen in Ausflüchte verwandelt.“ (Sören Kierkegaard)

Walter Methlagl, Gründer und langjähriger Leiter des Innsbrucker Brenner-Archivs, das den Nachlass Ferdinand Ebners beherbergt und im Rahmen eines FWF-Projekts wissenschaftlich aufarbeitet, hielt den ersten wissenschaftlichen Vortrag des Symposiums.

Der Begriff „Kritik der Gegenwart“ im Vortragstitel entspricht dem deutschen Titel einer von Theodor Haecker übersetzten Schrift Sören Kierkegaards, die 1914 in den letzten beiden Brenner-Folgen vor dem Ersten Weltkrieg erschienen war. Eine Neuübersetzung dieser Schrift durch Walter Methlagl liegt seit ungefähr anderthalb Jahren vor. Ferdinand Ebner war nun einer der wichtigsten Rezipienten dieser Schrift Kierkegaards im deutschsprachigen Raum. Seine Kritik der Gegenwart ist somit eng verknüpft mit seiner Rezeption von Kierkegaards „Kritik der Gegenwart“.

In seinem Vortrag bemühte sich Walter Methlagl, einige Aspekte von Kierkegaards Kritik der Gegenwart und damit auch Ebners Kritik der Gegenwart auf die heutige Zeit anzuwenden. Dabei gehe es nicht um eine Kritik einzelner zeitgeistiger Phänomene, sondern darum, diese auf gemeinsame verursachende Nenner zurückzuführen und somit Kritiken der Gegenwart zu einer „Kritik unserer Gegenwart“ werden zu lassen. Hauptbefund von Kierkegaards Gegenwartskritik sei, dass konkrete Gegensätze in zu Totalität gewordener Reflexion und Abstraktion fälschlich und mit kaum absehbaren Folgen aufgehoben würden. Ein Gedanke, der sich auch auf die vermeintlich unhintergehbaren Voraussetzungssysteme moderner Gesellschaften anwenden lässt. In einer Analyse heutiger Gegenwart, in welcher Methlagl nicht nur Bezüge zu Ferdinand Ebner, sondern auch zu Karl Kraus, zum dänischen Philosophen Jörgen I. Jensen sowie anderen herstellt, wird insbesondere aufgewiesen wie mit zunehmender Abstraktion auch zunehmende Nivellierung einhergeht. Eine Nivellierung, welche den Menschen in einsamer Isolation vom Mitmenschen zurücklasse. Was bleibt ist das Ich in seiner Ich-Einsamkeit (Ebner). Indem dieses Ich auf das Du projiziert wird, wird auch der für Ebner so wichtige Gegensatz von Ich und Du als Basis der Ich-Du-Beziehung relativiert: „‚Ich’ plus ‚ich’ ergibt nunmehr bloß noch ‚Ich’“, schreibt Jörgen I. Jensen.

Als Ausweg aus der vertrackten Situation weist Methlagl einen Weg, der mit Kierkegaards Verständnis von Revolution vorgezeichnet ist. Revolution wird hier nicht als kalkuliertes, vorgeschriebenes System verstanden, sondern als Rückkehr zum „Impetus der Leidenschaft“. Dieser zielt auf die Wesentlichkeit der Religiosität ab. Ausweg ist der Sprung des Individuums aus dem nivellierenden Verhängnis der Abstraktion in die Arme Gottes. Hier ist der Ort, an dem das Individuum unverwechselbar, unaustauschbar, unteilbar und grundsätzlich zur Glaubens-Entscheidung fähig ist. Was bei Kierkegaard nun der Sprung in die Arme Gottes ist, wird bei Ferdinand Ebner zur Dimension des aus der Innerlichkeit des Individuums erwachsenden Wortes: Der „Ursprung im Worte“, aus dem heraus jeder Mensch geistig lebt, erweist ihn als das „Du“ des liebend ihn ansprechenden göttlichen „Ich“. Ein Anspruch, der sich in der Hinwendung zum konkreten Mitmenschen, zum Du manifestiert. ‚Ich’ plus ‚Du’ hingegen kann die Welt eröffnen.“, sagt Jörgen I. Jensen. Trotz dieser Fundamentalkritik der Moderne dürfen aber weder Kierkegaard noch Ebner anti-aufklärerisch interpretiert werden.

Silvano Zucal (Trient): Der Exodus aus der „Icheinsamkeit“ und die wiedergefundene Heimat: Ebner und Dürrenmatt

„Es wurde übermütiger, sprang herum, überschlug sich, und mit ihm sprang und überschlug sich eine Unermeßlichkeit von Spiegelbildern. Aus dem Herumrennen und dem Sich-Überschlagen, aus den Sprüngen und dem Auf-den-Händen-Gehen – so groß wurde sein Übermut, weil die Spiegelbilder ja gleichzeitig dasselbe taten wie es, so daß es sich wie ein Anführer vorkam, mehr noch, wie ein Gott, wenn es gewußt hätte, was ein Gott ist […].“ (Friedrich Dürrenmatt)

Silvano Zucal ist Professor für Philosophie an der Universität Trient. Unter seiner Führung wurde das philosophische Institut Trient zu einem Zentrum der Ferdinand-Ebner-Forschung in Italien, was sich in einer Vielzahl an Publikationen zu Ebner widerspiegelt.

Basis für Silvano Zucals Vortrag ist Friedrich Dürrenmatts Ballade „Der Minotaurus“. In ihr hatte Dürrenmatt – vermutlich unbewusst – eine literarische Umsetzung von Ferdinand Ebners Gedanken des Ausgangs aus der Icheinsamkeit abgeliefert. „Der Minotaurus wird auf diese Weise die Metapher des durch die Pathologie der Icheinsamkeit verletzten und häßlich gewordenen Ichs, der Einsamkeit von demjenigen Ich, das sich schließlich nur noch auf die unendlichen wiederspiegelten Abbilder seiner selbst bezieht. Das Labyrinth hingegen ist die «chinesische Mauer», die jede Möglichkeit einer Begegnung ausschließt. Es ist das Gefängnis eines Wesens, das mit seinen eigenen Spiegelbildern einen tragischen Tanz tanzt, mit dem krankhaften Übermut einer autistischen Euphorie[.]“ Die „chinesische Mauer“ wird erstmalig durchbrochen, als der Minotaurus unvorhergesehen mit dem Mädchen zusammentrifft, das ihn verstehen lässt, dass er bis jetzt in einer vollkommen Ich-bezogenen Welt seiner eigenen Projektionen gelebt hatte. In einer Welt des „Traums vom Geist“, wie Ebner es nennen würde. Doch noch kennt der Minotaurus kein anderes Verhältnis zum andern als das der Aggression. Dies ändert sich erst, als er im hinter der Maske des Stiers versteckten Theseus den anderen Minotaurus erkennt. In einem festlichen und zugleich tragischen Tanz der Freude stürzt der Minotaurus im Vertrauen darauf, einen Freund gefunden zu haben, schließlich in Theseus’ tödliches Schwert. „ Es zählt nicht die Tatsache, daß mit dieser seiner Bereitschaft der Minotaurus dem Tod entgegengeht, vielmehr ist gerade dieser Tod der letzte Sinn jeder wahrhaften Bereitschaft zur Begegnung. Ein metaphorischer Tod in der unentgeltlichen Aufopferung eines Ichs, das sich selbst aufgibt, wahrhaftiger Tod, damit das Andere sein möge und damit das Ich sein kann. Es gibt keine Begegnung ohne Opfer, ja mehr, ohne wahre Bereitschaft zum Martyrium für das Du[.]“

Jörgen I. Jensen: Ferdinand Ebners Weg zum Christentum

„Wie kann es zugehen, dass ein kultureller, interessierter und philosophisch eingestellter Mensch, dazu kommt, zu behaupten, dass sein ganzes Denken mit dem Christentum steht und fällt? Ohne dass er durchlebt hat, was man im Allgemeinen eine plötzliche Wendung im psychologischen Sinn nennt, ohne dass er überhaupt theologischen Kontakt mit der Kirche hatte und ohne dass er sich überhaupt für Theologie im fachlichen Sinne interessiert hatte.“ (Jörgen I. Jensen)

Das ist die Ausgangsfrage, die den dänischen Philosophen Jörgen I. Jensen in seinem Vortrag umtreibt. Eine Frage, deren Bedeutung durch den Umstand verschärft wird, dass Ebner den aufgezählten Bereichen gegenüber skeptisch eingestellt war. Sie ist umso wichtiger, als Ebner mit seiner „Laientheologie“ direkt in die dialektische Theologie und somit eine neue Form der Theologie hineingeführt hat, ohne dies jemals beabsichtigt zu haben. Auf Ebners geistige Entwicklung bezogen ist die Frage gleichbedeutend mit der Frage, wie Ebner vom individuellen Ich seiner Frühphilosophie zur Ich-Du-Beziehung in den „Pneumatologischen Fragmenten“ gelangen konnte. „Es ist kein eindeutig linearer Weg auf ein Ziel hin. In seinen Aufzeichnungen am Schreibtisch tritt das Christentum zusammen mit allen möglichen anderen Gedanken auf, die dann schließlich sich sammeln oder von vielen Richtungen in ‘Das Wort und die geistigen Realitäten’ zusammenlaufen.“ Die Richtungen, von denen her die Gedanken Ebners in seine christliche Phase münden, identifiziert Jensen insbesondere mit der Rezeption Otto Weiningers, von dem Ebner möglicherweise das Begriffspaar „Ich und Du“ übernehmen konnte und der Ludwig Feuerbachs, welcher wohl als erster vom „Ich und Du“ gesprochen hatte. Es zeigt sich, dass Ebner in seiner geistigen Entwicklung frühere Gedanken wieder aufnimmt, indem sie sich entweder durchhalten, wie es bei der Unterscheidung zwischen substantialisierendem und prozesshaftem Denken der Fall ist, oder indem vermeintlich gleichen Gedankengängen eine neue Bedeutung verliehen wird. Die verschiedenen Richtungen seiner Denkbewegung wie sie in Ebners philosophischen Schriften, seinen Tagebüchern und Briefen bezeugt sind, bündeln sich schließlich im Prolog des Johannesevangeliums, in dem Ebner auf das Wort als auf jenes Moment stößt, welches das Verhältnis zwischen dem Ich und dem Du letztlich konstituiert. So konstituiert, dass sich daraus eine Reihe von Implikationen dafür, wie Ebner verschiedenste andere Erscheinungen wie Sexualität und Ehe einschätzt, ergeben.

Es ist Jensen ein Anliegen, auf das spezifische theologische Niveau des Ebnerschen Denkens hinzuweisen. Dieses äußere sich einerseits in Ebners Briefen vor allem an Luise Karpischek: „Eine Art theologischer Kammermusik mit Luise Karpischek als dem einzigen Dialogpartner […]“, dann aber auch in der Schwierigkeit, Ebners geistiges Unterfangen systematisch einzuordnen: „Das ist keine subjektivistische Theologie, keine liberale Theologie, aber auch keine akademische oder kirchliche Theologie“. Es sei eine „vibrierende aphoristische und experimentelle Theologie, die sich aufgrund des Drucks der historischen Situation meldet“. Sich meldet als Reaktion einerseits auf subjektivistische Tendenzen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg; andererseits auf objektivierende Tendenzen in politischen Systemen und künstlerischer Produktion der zwanziger Jahre.

Ernst Pavelka/Markus Flatscher: Die Website der Internationalen Ferdinand-Ebner-Gesellschaft

Markus Flatscher hat Philosophie und EDV in Innsbruck und Wien studiert. Er beschäftigt sich daher insbesondere an der Schnittstelle von elektronischer Datenverarbeitung und Geisteswissenschaften mit Digitaliserungstechniken in der Editionsphilologie. Aufgrund dessen ist er maßgeblich an der Entwicklung und dem Ausbau des technischen Hintergrundes des Projektes Kritische Herausgabe des Gesamtnachlasses von Ferdinand Ebner beteiligt. Seit kurzem ist Markus Flatscher Mitarbeiter bei Rotunda, einem Projekt der University of Virgina. Die Stelle ermöglicht ihm, seine beim Ferdinand-Ebner-Projekt gemachten Erfahrungen u. a. bei der editionsphilologischen Bearbeitung von Texten der us-amerikanischen Gründungsväter umzusetzen.

Im Anschluss an Jörgen I. Jensens Vortrag konnte die Internationale Ferdinand-Ebner-Gesellschaft in die Funktionen ihrer erst vor kurzem eingerichteten Homepage einführen. Die Website wurde äußerst professionell und ansprechend umgesetzt von Markus Flatscher. Da Markus Flatscher zum Zeitpunkt des Symposiums aus privaten Gründen verhindert war, übernahm Ernst Pavelka die Präsentation.

Die Website wird von der Ferdinand-Ebner-Gesellschaft als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erreichung eines ihrer Vereinsziele, nämlich der internationalen Verbreitung des Werkes Ferdinand Ebners gesehen. Sie soll als Schnittstelle im Internet für alle Belange dienen, welche das Denken und das Werk Ferdinand Ebners betreffen. Dazu beinhaltet sie nicht nur allgemeine Informationen über Ferdinand Ebner und sein Denken, sondern bietet auch jeweils aktuell zu Ferdinand Ebner verfügbare Informationen. Diese werden ergänzt durch die Veröffentlichung von Text-Auszügen aus Werken von und zu Ferdinand Ebner. Die Verbeitung des Werkes Ferdinand Ebners soll insbesondere auch durch den Bücher-Webshop erfolgen. In ihm wird Literatur von und zu Ferdinand Ebner angeboten. Mitglieder der Ferdinand-Ebner-Gesellschaft können hier Bücher versandkostenfrei bestellen. Um über den jeweils aktuellsten Stand der Informationen benachrichtigt zu werden, wurde zudem ein RSS- bzw. Atom-Newsfeed eingerichtet.

Friedrich Grimmlinger: Der Geistbegriff bei Ferdinand Ebner

„Die Herausstellung des Geistbegriffs scheint das Hauptverdienst Ferdinand Ebners gewesen zu sein.“ (Friedrich Grimmlinger)

Der Vortrag von Friedrich Grimmlinger, einem dem Denken des Deutschen Idealismus und insbesondere Hegels zugetanen Philosophen der Universität Wien, war in vier Teile gegliedert. Diese spannten sich von einer Entfaltung eines allgemeinen Geistverständnisses, von dem Ebner ausgegangen sein müsse, über das spezifisch Ebnersche Geistverständnis und daran anknüpfende weiterführende Fragen bis hin zu Bemerkungen über das geistige Erbe Ferdinand Ebners.

Grimmlingers Explikation eines allgemeinen Geistverständnisses konzentrierte sich vornehmlich auf die diesbezügliche lange Begriffsgeschichte in der europäischen Tradition. Diese zieht sich von den Vorsokratikern über die klassische antike Philosophie bis hin zum Geistbegriff des Neuen Testaments. Letzterer ist insofern von einem Bedeutungswandel geprägt, als das „pneuma“ nunmehr zum Geist Gottes, zum „hagion pneuma“ wird. Ein Begriff, welcher auch für Ferdinand Ebner wichtig werden sollte. Systematisch lassen sich mehrere Aspekte eines allgemeinen Geistbegriffs herausarbeiten: Abgrenzung von der Natur, Geist als Geist einer Periode, einer Zeit oder einer Nation, Geist als das, worin sich alle Kulturleistungen des Menschen niederschlagen, die Autonomie des Geistes und der damit verbundene Freiheitsbegriff, die Distinktion zwischen dem Geist des Menschen und dem Geist Gottes, Geist als „nous poietikós“ (Aristoteles), als schöpferischer Geist, die Sprache als der unhintergehbare Boden des Geistes.

Ausgangspunkt für Ferdinand Ebner ist der Geist als in der Welt des Menschen wirkliche und notwendige Voraussetzung. Schon im Titel „Das Wort und die geistigen Realitäten“ klingt Ebners Hauptfrage an: Was ist im Geistigen real? Was ist überhaupt real? Real sind die Worte und Sätze, allerdings nur in der Aktualität des Gesprochenwerdens. Wenn ein Mensch zu einem anderen Menschen wirklich spricht. Ebner spricht immer wieder vom „lebendigen Geist“ und vom „Leben des Geistes“. In einem aktualen Sprechen vollzieht sich Personalität. Die Worte und Sätze gehen aus von einem „Ich bin“ und zielen ab auf ein „Du“. Die Behauptung des „Ich bin“ im aktualen sprechen impliziert „uno actu“ die Bekräftigung „Du bist“. Ausgehend von seinen Studien zum Johannesevangelium führt Ebner aber noch eine weitere geistige Realität ein: das Du Gottes. Das göttliche Angesprochenwerden des Menschen im Wort erfordert eine Antwort des Menschen im Glauben. In der Antwort generiert sich ein weiteres Du in der Richtung auf Gott hin. In diesem Sinne spricht Ebner vom Du Gottes als dem „wahren Du“, welches in jedem menschlichen Du präsent ist. Im Du Gottes kommt die wahre geistige Realität des Menschen zum Durchbruch. Direkt angesprochen wird das Du Gottes für Ebner vornehmlich im Gebet.

Jedes Sprechen, das sich nicht auf ein Du bezieht, ist für Ebner kein aktuales Sprechen und verharrt in der Ich-Einsamkeit. Aus ihm entwickeln sich die Kulturleistungen, die aber nicht wahre geistige Relität generieren, sondern einen „Traum vom Geist“. Ebner sieht selbst, dass er dem Grundwiderspruch, dass sein Werk als Philosophie auch Traum vom Geist ist, nicht entkommt. Freilich hat er darin eine gewisse Abhilfe geschaffen, dass er seiner Freundin Luise Karpischek aus den Fragmenten vorgelesen hat.

In den weiterführenden Fragestellungen ging Grimmlinger zunächst auf die Trennung zwischen dem personalen und dem sachlichen Bezug im Sprechen ein. Nach Grimmlinger müssen beide Faktoren aber zusammen gedacht werden: Es gibt nicht nur das Verhältnis zwischen Subjekt und Subjekt, sondern auch das zwischen Subjekt, Subjekt und Objekt. In jedem Wort steckt bereits ein sachlicher Bezug, in jedem einfachsten Satz der Zuwendung eines Ichs zu einem Du. Selbst in der Liebe steckt ein sachlicher Bezug, der sie von anderen Phänomenen wie Glaube oder Hass abgrenzt. In einem weiteren Kritikpunkt ging es um die Frage nach dem Verhältnis zwischen gesprochener Sprache und Schrift. Welche Bedeutung hat die Schrift im geistigen Sein? Kulturleistungen bedürfen zwar der schriftlichen Fixierung, aber sie beginnen erst auf der aktualen Ebene zu leben. Mozarts Requiem lebt erst, wenn es aufgeführt wird, auf und philosophische Schriften in der Bearbeitung durch andere. Es müsse also darum gehen, in einer Weiterführung der Gedanken Ebners sämtliche Weltbezüge des Geistes zu erfassen.

Als unverlierbares Erbe der Denkbemühungen Ebners sah Grimmlinger vor allem den Gedanken, dass das Geistige im Menschen im Geist Gottes begründet sei. Dies sei ein tiefer Gedanke. Er könnte es ermöglichen, den ontologischen und den kosmologischen Gottesbeweis der klassischen Philosophie in einem pneumatologischen Gottesargument zu vereinen. Dabei wäre von einem Begriff des Geistes, der sämtliche weltliche Bezüge berücksichtigt, auszugehen. Sowohl in der Natur als auch in der Geschichte des menschlichen Geistes würden sich die Spuren Gottes zeigen.

Renate Grimmlinger: Ferdinand Ebner – Zeitgeist Kunst und Frauen. Biografische Notizen

Renate Grimmlinger ist selbständig im Bereich des Coaching tätig. Sie ist Buchprüferin und Mitglied der Internationalen Ferdinand-Ebner-Gesellschaft, für die sie das Ferdinand-Ebner-Symposion mit großem persönlichem Einsatz organisiert hat.

Renate Grimmlinger gewährte einen Einblick in den kulturellen und geistesgeschichtlichen Hintergrund, vor dem sich Ebners Biographie abspielt und sein Denken entwickelt. Zudem ging sie mit Luise Karpischek und Hildegard Jone auf zwei Frauen, die Ebners Leben beeinflusst haben, ein. Für den Vortrag sei verwiesen auf Renate Grimmlingers PowerPoint-Präsentation.

Franz Josef Brandfellner: Ferdinand Ebner und sein Anspruch an die Pädagogik

„Der Mensch wird nicht Mensch unter Büchern. Der Mensch wird nur Mensch unter Menschen. Darum hat Ebner für die Pädagogik so eine eminente Bedeutung.“ (Franz J. Brandfellner)

Franz Josef Brandfellner ist ehemaliger Bürgermeister von Gablitz und besitzt in Gablitz ein Antiquariat. Er war Lehrer und 14 Jahre lang Direktor der Vienna Business School, Handelsakademie I, in Wien.

Ziel des Vortrages von Brandfellner war es, die Frage nach der Umsetzung von Ferdinand Ebners Denken in die Praxis zu untersuchen. Am Beginn standen Schilderungen Brandfellners darüber, wie er die Veränderung des Schulalltags in den letzten Jahren erlebt hat. Veränderungen die geprägt waren von der Einführung von Notebooks in der Schule und der Ausbreitung des World Wide Web. So hätten einige Schüler die Vienna Business School verlassen müssen, weil sie so spielsüchtig geworden seien, dass sie zu anderen Beziehungen – jenseits des Computers – nicht mehr fähig gewesen seien. Dies zeigt die Vereinsamung, die mit der Ausbreitung des Computers und des Internets einhergehe.
Im Hauptteil seines Referats ging der Vortragende auf die Aufgaben der Pädagogik ein. Diese bestünden in Sozialisation und Emanzipation: Sozialisation im Sinne einer Heranführung und Anpassung an die Gesellschaft, Emanzipation als gleichzeitige Kritik an dieser Anpassung. Zur Erziehung bedürfe es immer einer Autorität. Ziel sei aber nicht die Autorität, sondern den Schüler in die Freiheit zu entlassen als selbständigen Menschen. Um dies zu erreichen ist immer der Andere erforderlich. Bildung lasse sich demgemäß nicht durch Bücherwissen erwerben. Gerade an diesem Punkt erweise sich die eminente Bedeutung Ebners für die Pädagogik. Denn Pädagogik ist nicht nur Hilfe zu Selbsthilfe, sondern immer auch die unbedingte Notwendigkeit der persönlichen Anwesenheit. Mit Ebner gesprochen entwickelt sich die Persönlichkeit eines Menschen daran, wem er wie, wo und wann begegnet. Im Gedanken des „pneuma“ wird die persönliche Präsenz ausgedrückt, die unersetzlich ist. Das „Wie“ der Begegnung bestehe nach Ebner in Wort und Liebe. „Liebe“ bezeichnet dabei die Bereitschaft des Menschen, auf den anderen positiv zuzugehen, während das gesprochene „Wort“ das ist, womit das Ich sowohl als im Hören als auch in der Tat erreicht wird. Die Aufgabe der Pädagogik könne demnach nur darin bestehen, das Kind wieder auf eine sinnvolle Weise anzusprechen. Dazu muss der Lehrer dem Kind zum „Du“ werden. Demgegenüber sollten nach Brandfellner alle anderen Aufgaben des Lehrers zurücktreten. Freilich ist mit diesem Unterfangen auch das Wagnis verbunden, abgelehnt zu werden.

Carlo Brentari: Ferdinand Ebner und Jakob Baron von Uexküll

Jakob Baron von Uexküll, der dem baltischen Adel angehörte, wurde 1864 in Keblas (einer Ortschaft im heutigen Estland) geboren. 1884 bis 1889 studierte er Naturwissenschaften und Biologie an der Universität Dorpat, im heutigen Tartu (Estland). In den Jahren bis 1900 beschäftigte er sich in Heidelberg mit Untersuchungen über die Muskelphysiologie; dann arbeitete er in Neapel und an der Ostküste Afrikas. In dieser Zeit konzentriert sich seine Forschungstätigkeit auf die Muscheltiere und auf das Problem des Protoplasmas. 1907 wird ihm in Heidelberg der Doktortitel verliehen. Nachdem er während des Krieges das ganze Familienvermögen verloren hat, wird er Honorarprofessor und ist 1925 bis 1936 in Hamburg tätig; 1926 bis 1940 ist er Leiter des von ihm an der Universität Hamburg begründeten Instituts für Umweltforschung. Die Zeit des Zweiten Weltkriegs verbringt er mit der Frau Gudrun Schwerin auf der italienischen Insel Capri, wo er 1943 stirbt.

Carlo Brentari ist wissenschaftlicher Assistent von Silvano Zucal, unter dem sich das Institut für Philosophie an der Universität Trient zu einem Zentrum der Ferdinand-Ebner-Forschung in Italien entwickelte.

Brentaris Vortrag beschäftigte mit Ferdinand Ebners Rezeption bestimmter Gedanken von Jakob von Uexküll in seinem Frühwerk „Ethik und Leben“. Ebner bezog sein Wissen über die Auffassungen Uexkülls aus einer Reihe von Aufsätzen, welche dieser in der Zeitschrift „Die neue Rundschau“ veröffentlicht hatte. Außerdem besaß er eine 1913 unter dem Titel „Bausteine zu einer biologischen Weltanschauung“ erschienene Sammlung von Aufsätzen Uexkülls. In seinem Vortrag gelang es Brentari, herauszuarbeiten, wo Ebner Uexküll folgt und wo er, dessen Positionen weiterdenkend, über ihn hinausgeht.

Ebner konnte Uexküll von zwei Grundbegriffen her rezipieren, die die Basis einer spezifischen Kritik Uexkülls am Darwinismus bilden. Gemeint sind der Begriff des Bauplans und der der Umwelt. Unter „Bauplan“ versteht Uexküll einen teleologischen Faktor, der für das zweckmäßige Zusammenspiel der einzelnen Teile im Organismus eines Lebewesens verantwortlich ist. Die Planmäßigkeit des Organismus lässt sich dabei nicht auf rein mechanische Vorgänge zurückführen, wie es nach Uexküll der Darwinismus beabsichtigt. Das Zusammenspiel zwischen Organismus und Umwelt wiederum hängt für Uexküll nicht wie im Darwinismus von der selektierenden Wirkung äußerer Faktoren ab, sondern vom jeweils artspezifischen Bauplan des Organismus. Er beschreibt es durch die Unterscheidung von „Wirk-“ und „Merkmalen“. Aufgrund seiner biologischen Lage wählt das Tier diejenigen Merkmale seiner Umwelt aus, die es für relevant hält. Unter dem Einfluss dieser Daten aktivieren sich die „Effektoren“, die Organe der Bewegung, der Verteidigung oder der Fortpflanzung, die mit den „Wirkmalen“ einen zweiten Komplex an Wahrnehmungsreizen hervorrufen. Mit dem inneren Bauplan und der Harmonie zwischen dem Organismus und seiner Umwelt geht Uexküll also von einer doppelten Zweckmäßigkeit aus.

In „Ethik und Leben“ folgt Ebner Uexküll inhaltlich vollständig was die Ablehnung von Mechanismus und Darwinismus in der Biologie betrifft. Auch übernimmt er Uexkülls Lehre von einer doppelten Zweckmäßigkeit des Organismus. Hatte Uexküll die zweite Form von Zweckmäßigkeit, das Zusammenspiel zwischen Organismus und Umwelt jedoch von Kants Transzendentalphilosophie her interpretiert, so geht Ebner im Sinne einer Ethisierung des Subjektes und einer Metaphysierung des Lebens über die Uexküllsche Interpretation hinaus. In einem weiteren Schritt deutet er die Unterscheidung zwischen einer objektiven und einer subjektiven Biologie anders als Uexküll. Dieser wollte der „objektiven Biologie“ eine „subjektive“ beigesellen, um auch Fragen nach der subjektiven Wahrnehmung der Umwelt durch die Organismen, die für Uexküll allesamt Subjekte darstellen, im Rahmen der Biologie bewältigen zu können. Für Ebner ist das Subjekt nicht wie bei Uexküll einfacher Träger eines die Beziehungen eines Organismus zur Umwelt regelnden Bauplans, und „subjektives Erleben“ nicht nur ein Gestalten und Ordnen der Umwelt des Organismus, sondern es trägt das Leben im Sinne einer alles durchwaltenden, das Materielle organisierenden, metaphysischen Macht, zu dem das subjektive Erleben die einzige mögliche und transzendente Beziehung herstellt.

Richard Hörmann: Das Projekt „Kritische Herausgabe des Gesamtnachlasses von Ferdinand Ebner“ – Stand der Forschung

Das Projekt „Kritische Gesamtausgabe des Nachlasses von Ferdinand Ebner“ besteht seit dem Jahr 1998. Es wurde vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung von diesem Zeitpunkt an in drei Etappen bewilligt. Es umfasst in seiner aktuellen Form die historisch-kritische Bearbeitung jener Schriften Ferdinand Ebners, welche für das Verständnis des in den beiden früheren Phasen des Projekts bereits erfassten Textcorpus relevant sowie für die Vervollständigung der in Druck befindlichen Gesamtausgabe erforderlich sind. Indem das bereits erarbeitete Material vom bisher verwendeten FOLIO-Flat-File-Format auf den auf XML beruhenden international anerkannten Textauszeichnungsstandard TEI (Text Encoding Initiative) umgestellt wird, wird ein völlig neues, modernes Fundament für die künftige Ferdinand-Ebner-Forschung geschaffen.

Dieter Bogner: Freundschaft Johannes Itten, Josef Matthias Hauer und Ferdinand Ebner

„Der Hauer schleppte mich in die Ausstellung des Schweizer Malers Johannes Itten. Das ‘Schöpferische’ im Auge musiziert in Farben u. geometrischen Formen: mein Verstand begreift mehr als meine Psyche ästhetisch begreift. Die Geburt des Ohrenmenschen in Europa. Die Geburt von Farben u. Formen aus dem Geist der Musik. Das Ende des Idealismus. Der Hauer fing mit dem Itten ein Gespräch über die Klangfarbe an. Ich verließ ihn u. rannte auf dem Graben einigemale hin u. her. Wohin gerate ich innerlich? Nach dem Abendessen spielte der Hauer seine letzten Kompositionen. Kühles Raisonnement. Klangfarbenästhetizismus. Ich werde noch am Wortloswerden meiner inneren Existenz geistig ersticken – – –“ (Ferdinand Ebner, 7.5.1919)

Dieter Bogner ist Unternehmer und Kunsthistoriker. Nach kaufmännischer Ausbildung und unternehmerischer Tätigkeit studierte er Kunstgeschichte, Philosophie und Klassische Archäologie. Er war selbständiger Ausstellungskurator und Geschäftsführer der Museumsquartier Errichtungs- und Betriebsgesellschaft Wien. 1994 gründete er die Firma bogner.cc, welche sich der Planung und Errichtung von Museumsbauten, der Neuaufstellung von Sammlungen und der Umsetzung von Ausstellungsprojekten inhaltlich, betriebsorganisatorisch und wirtschaftlich vom ersten Konzept bis zur Eröffnung widmet. Aktuelle Projekte sind u. a. das New Museum of Contemporary Art New York, das Hessische Landesmuseum, der Museumsleitplan Salzburg, das Vorarlberger Landesmuseum oder das Museion – Museum moderner und zeitgenössischer Kunst Bozen. 2005 habilitierte sich Dieter Bogner am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien. Dieter Bogner ist Sammler vornehmlich konstruktiver und konzeptueller Kunst. 2007 schenkte er dem Wiener MUMOK eine Sammlung im Wert 1,5 Millionen Euro, von der ein Teil im September und Oktober 2007 unter dem Titel „Ohne Wenn und Aber“ ausgestellt war. Es handelte sich um die größte Schenkung, welche das MUMOK seit seinem Bestehen erhalten hat. Dieter Bogner bekleidet zahlreiche Funktionen im Rahmen in- und ausländischer Museumsprojekte.

Bogners Vortrag beschäftigte sich mit der auf nur wenige Monate konzentrierten, engen Beziehung zwischen Ferdinand Ebner, Josef Matthias Hauer und Johannes Itten im Jahre 1919 sowie deren Zerbrechen. Eine Beziehung, die für alle Beteiligten derart fruchtbringend gewesen ist, dass Bogner sie gerne als „Sternstunde der Moderne“ verstanden wissen möchte. Itten war 1916 nach Wien gekommen und hatte in Gersthof eine Kunstschule errichtet. Auf einem der Blätter, auf denen Itten in den 60er Jahren im Rückblick verzeichnet hatte, wen aller er in Wien damals kannte, stechen mit Bleistift umrahmt unter Namen wie Adolf Loos, Walter Gropius, Otto Neurath oder Wittgenstein die Namen Ferdinand Ebners und Josef Matthias Hauers besonders hervor.

Hauer und Itten waren im Umkreis der „Freien Bewegung“ aufeinander getroffen. Hauer war, nachdem er jahrelang nicht mehr komponiert, wohl aber theoretisiert („Über die Klangfarbe“) hatte, am Tag vor der Eröffnung einer Itten-Ausstellung in der „Freien Bewegung“ durch die Ausstellung gegangen. Die Werke Ittens wurden ihm dabei schlagartig so sehr zum schöpferischen Durchbruch aus der Schaffenskrise, zur „Überwindung des Schönberg’schen Chaos“, dass er Itten vor Ort sagen konnte: „Ich bin Komponist und habe in meiner Tasche Briefe an meine Freunde, um ihnen mitzuteilen, dass ich derart hoffnungslos in die Zukunft sehe, dass ich mich entschlossen habe, nie mehr eine einzige Komposition zu schreiben. Seit ich jetzt hier Ihre Bilder sah, verspreche ich Ihnen, dass ich diese Briefe verbrenne und mit neuer Hoffnung an die Arbeit gehe!“ In der Folge entstanden die Werke Opus 15, 16, 17, 18 und 19. Ebner wurde in dieser Zeit gleichsam zum Biographen dieser so ungemein bedeutungsvollen Begegnung zwischen Josef Matthias Hauer und Johannes Itten: „Es ist kein Zufall, dass zwei Menschen, ein Komponist und ein Maler […] gleich vom ersten Augenblick ihrer Begegnung an, auf die ersten miteinander gewechselten Worte hin und das erste gegenseitige Bekanntwerden mit ihren Werken, sich so in Wechselseitigem Verständnis trafen, dass der Maler sagen konnte, was ihm Hauer auf dem Klavier vorspiele seien seine eigenen Kompositionen, die er komponiert hätte, wenn er eben nicht Maler, sondern Musiker wäre. Wie ja auch Hauer von den Gemälden Ittens behauptet, sie erfüllen alles, was er sich von Bildern und von der Kunst des Malens im Besonderen seit jeher erwartet und gewünscht habe.“ So hatte Hauer seine „Apokalyptische Phantasie“ mit einem der großen geometrischen Bilder Ittens identifiziert. „Jedenfalls hat das Schaffen beider eine gemeinsame innere Voraussetzung in der angenommenen tiefen im Subjekt wurzelnden Identität des Seh- und Höraktes.“

Die schöpferische Begegnung zwischen Hauer und Itten sollte in der Folge zu einem Reduktionismus bis zum Exzess führen. Hauer fürchtete an die Grenze der musikalischen Artikulationsfähigkeit zu stoßen, zu „Geräuschlosigkeit, Unsinnigkeit, also zur vollständigen Vergeistigung, zu Musikdenken ohne Spielen, Aufführen, Lärmen zu gelangen“. „[D]ie Musik, auf die ich mein Leben lang immer hoffte, wächst immer mehr ins Schweigen, ins Denken, in die Ruhe hinein.“ Die musikalische Entwicklung entspricht hier der radikalen Reduktion auf elementare Formen in der bildenden Kunst der De-Stijl-Bewegung oder Malewitschs, später des Bauhauses. Musikalisch geht es um die Form, die sich aus dem Intervall ergibt. Die schöpferische Begegnung, die zu diesem Ergebnis geführt hatte, wurde von Ebner präzise beobachtet und auch das Spannungsverhältnis zwischen Ebner. Hauer und Itten, das in ihr beschlossen liegt, bereits empfunden (s. Eingangszitat).

Kern der künstlerischen Auseinandersetzung zwischen Itten und Hauer war das Ton- und das Farbverhältnis, die Totalität der Farben und die Totalität der Töne. Hauer schickte an Itten einen Farbenkreis, in dem er die warmen und kalten Farben rhythmisch mischte und sie mit dem Tonkreis, Quint- und Quartenzirkel verband. Außerdem versuchte er mit einer Itten-Schülerin Sechstongruppen in Farb-Form-Kompositionen umzusetzen sowie Itten-Bilder entsprechend zu interpretieren. Ein Unterfangen, das nach der Euphorie der ersten Monate zu Spannungen führte, weil die Beziehungsgefüge (Ich-Du, hell-dunkel, zwölfteiliger Farbkreis, zwölfteiliger Tonkreis) des jeweils anderen mit Inhalten und Absolutheitsansprüchen gedeutet wurden, die von jenen jeweils als unerträglich empfunden wurden.

Bogner schloss seinen Vortrag mit Ausführungen zur Intervallfrage. Diese hat ihre Wurzeln bereits in der Wiener Schule der Kunstgeschichte des 19. Jhds., namentlich bei Alois Riegel. Hier wird bereits einer Betrachtung der Kunst das Wort geredet, die eine radikale Reduktion auf einfache Formelemente beinhaltet. Für Riegel steht das geometrische als künstlerische Ausdrucksform gleichberechtigt neben dem Natürlichen. Gedacht wird dabei in Beziehungen wie eben Ich und Du, Grundton und Oberton, Licht und Dunkel. Unter dem Titel „Die Emanzipation des Intervalls“ zeigte Riegel auf, dass nicht die einzelne Form das entscheidende sei, sondern das Intervall zwischen den Formen sei gleichbedeutend mit den beiden Elementen, welche die Wechselbeziehung begründen. In einem Umspringprozess könne das Intervall gleichzeitig Form sein. Bei Hauer hingegen ist 1919 nicht die Emanzipation des Intervalls, sondern die Verabsolutierung des Intervalls entscheidend. Erst unter der Voraussetzung, dass das Intervall das entscheidende Formelement ist, gelangt er zum Nichts, zum Nicht-mehr-hören, weil das Intervall nur mehr zu denken ist. Ein zweiter für den Beginn der Moderne entscheidender Punkt ist, dass diese Überlegungen weltanschaulich als Welterklärungsmodelle aufgeladen werden: „Von Intervallen können wir das Ganze der musikalischen Farbenwelt überschauen. Wir können die Einzelerscheinungen im Kreis anordnen, das Zufällige vom Wesentlichen, das Einfache vom Zusammengesetzten trennen.“ „Soll ich Euch von der Temperatur aus […] alle politischen und gesellschaftlichen Vorgänge in Europa erklären?“ Dieses Denken entspricht wiederum dem, was Malewitsch in Russland bzw. die De-Stijl-Maler in Holland zu realisieren versuchten. Die Welt soll aus ganz einfachen Grundbeziehungen erklärt werden. Aus der Übertragung dieser Vorstellung in den Bereich der Philosophie, der Kunst oder der Musik ergaben sich aufgrund des dahinterstehenden absoluten Erklärungsanspruches Auseinandersetzungen über den Primat des jeweiligen Bereiches. Hatte ihn für Itten die Malerei, so für Hauer die Musik. Von daher hatte sich Hauer schließlich auch von Ebner entfernt.

Christian-Paul Berger: Das Wort in der Natur – Emphatische Naturwissenschaften

„‘Können wir den Fortschritt der Wissenschaft als einen Bruch, eine Loslösung oder eine Negation deuten, als eine Entwicklung, die von der konkreten Erfahrung fort zu immer schwerer fassbaren Abstraktionen führt? Immer mehr werden Wissenschaftler, die sich auf Kongressen treffen, einsam und können in ihrer Sprache sich nicht einmal mehr mit ihren Fachkollegen verständigen.’ (Ilya Prigogine). Das größte Problem der Naturwissenschaft ist die Ich-Einsamkeit.“ (Christian Paul Berger)

Christian Paul Berger unterrichtet an der Handelsakademie Bregenz. Er studierte Mathematik, Philosophie und Germanistik an der Universität Innsbruck. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut Brenner-Archiv in Innsbruck und nahm 1998 am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Zahlreiche Veröffentlichungen im philosophischen und literarischen Bereich kennzeichnen seinen Lebenslauf. Insidern ist Christian Paul Berger bekannt für seine exzellenten Beziehungen zu den unterschiedlichsten Größen des gegenwärtigen Geisteslebens.

Gegenstand von Bergers komplexem Vortrag war die Ich-Einsamkeit (Ebner) der gegenwärtigen Naturwissenschaften und die Möglichkeiten, welche die Philosophie Ferdinand Ebners bietet, um sie zu überwinden. Eine neue Form der Ich-Einsamkeit sei da zu konstatieren, die umso gefährlicher sei, als die modernen Naturwissenschaften permanent unsere Welt beeinflussen. Desiderat sei daher eine „Wiederbegeisterung für die Naturwissenschaft“, für eine Naturwissenschaft, die mittlerweile zur Farce verkommen sei. Die Aufarbeitung des Anliegens ist eng mit verschiedenen Personen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich, namentlich dem der Quantenphysik verbunden. Insbesondere seien auch Anton Zeillinger und Friedrich Cramer bemüht, dem dialogische Denken als Ausweg aus dem Dilemma im naturwissenschaftlichen Denken Geltung zu verschaffen. Denn auch die Natur könne als „Du“ verstanden werden, wenn auch nicht als „Du“ in der selben Weise wie konkrete Personen. Insofern sie auf die Fragen des Wissenschaftlers „antworte“ könne hier ein Anker für den Gedanken wissenschaftlicher Verantwortung gefunden werden. Setze Verantwortung doch immer eine Antwort von außen voraus.

Ein Gutteil des Vortrags war dem Molekularbiologen Friedrich Cramer gewidmet. Cramer war auf der Suche nach Möglichkeiten, die Ich-Einsamkeit der modernen Naturwissenschaften zu überwinden, über Vermittlung von Hans Georg Gadamer in den 80er Jahren auf das Denken Ferdinand Ebners gestoßen. Er sah Ebners Denken durch die Gleichung Wort = Geist = Liebe =Natur wiedergegeben. Freilich mit dem Abstrich, dass das letzte Element der Gleichung sich bei Ebner so nicht eindeutig festmachen lässt und insofern mit vielen Fragezeichen zu versehen wäre. Zentral dürfte jedoch sein, dass damit auf eine unhintergehbareVoraussetzung des Menschen rekurriert wird. Ein Gedanke, der bereits im alttestamentarischen Schöpfungsgedanken der Genesis zu finden ist. An ihn knüpft Cramer an, wenn er im Dialogischen vom eigentlichen Dialogischen das Protodialogische unterscheidet. Dieses ist jenes Dialogische, das die Voraussetzung der menschlichen Existenz bilde, noch von Gott kommt und an die Schöpfung weitergegeben ist. Das Dialogische ist darin noch nicht bewusst. Bewusst werde es erst im eigentlichen Dialogischen, welches in dem Satz Schellings, nach dem die Natur im Menschen die Augen aufgeschlagen hat und von sich selbst weiß, zum Ausdruck komme. In diesem Augenblick kann das Dialogische auch sprechen und wird Geist. Von daher kann Cramer im Sinne des Protodialogischen den gesamten menschlichen Organismus dialogisch verstehen. Möglichkeiten für die Naturwissenschaften ergeben sich von da aus z. B. für die Medizin indem von der „Sprache der Diagnosegeräte“ in eine Sprache, die zwischen Diagnosegeräten und Mensch vermittelt, übergegangen wird.