Biographie

Ferdinand Ebner wurde am 31. Jänner 1882 in Wiener Neustadt als siebentes Kind der Anna und des Landwirtes und Fleischhauers Johann Ebner geboren. Zwei Geschwister Ebners, ein Bruder, ebenfalls mit dem Namen Ferdinand und die Schwester Susanne, waren schon vor seiner Geburt gestorben. Die übrigen vier Geschwister Anna, Maria (genannt Mitzi), Hans und Josefine waren alle wesentlich älter. Zudem waren Anna und Hans früh außer Haus zu wohlhabenden Verwandten gekommen, so dass Ebner fast als Einzelkind aufwuchs. Nach der Volksschule besuchte er das Lehrerbildungsseminar in Wiener Neustadt, das er jedoch 1900/01 wegen eines Lungenspitzenkatarrhs für ein Jahr unterbrechen mußte. Er verbrachte vier Wochen in der Heilanstalt Gleichenberg und fünf Monate in der Heilanstalt Alland. 1902 schloß er dann die Lehrerausbildung mit Auszeichnung ab und trat im Herbst 1902 seine erste Stelle als Volksschullehrer in Waldegg an. Im Oktober 1912 wurde er nach Gablitz versetzt. Vom Kriegsdienst blieb Ebner verschont, da er für untauglich erklärt wurde. Er betätigte sich aber als Sammler für die Kriegsfürsorgekommission und für das Rote Kreuz und übernahm vom März 1915 bis zum Kriegsende als “Brotkartenverteiler” die gemeindeamtliche Mehlversorgung. Das Jahr 1923 war für Ebner ein sehr ereignisreiches und schwieriges Jahr: Im Jänner 1923 mußte er die provisorische Leitung der Volksschule Gablitz übernehmen. Bald darauf wurde Ebner wieder von einer Depression befallen, die diesmal im März und im Mai zu zwei Selbstmordversuchen führte. In der Folge wurde er beurlaubt und verbrachte sieben Wochen im Sanatorium Hartenstein. Am 7. Oktober heiratete er seine Lehrerkollegin Maria Mizera und kurz darauf, am 1. November schied Ebner krankheitshalber frühzeitig aus dem Schuldienst aus. Im August 1924 wurde sein Sohn Walther – sein einziges Kind – geboren. Am 17. Oktober 1931 starb Ferdinand Ebner in Gablitz.

Ebners Leben verlief äußerlich relativ unbewegt. Seine weitesten Reisen führten ihn nach Innsbruck zu seinem Verleger Ludwig von Ficker, wo er sich viermal aufhielt: im Sommer der Jahre 1920, 1921 und 1922 und unmittelbar nach seiner Hochzeit im Oktober 1923. Neben Ludwig von Ficker und seiner eigenen Familie spielten einige andere Menschen in Ebners Leben eine bedeutende Rolle.

Zunächst ist einmal Luise Karpischek zu nennen, die Ebner am 18. März 1900 über seine Schwester Maria kennenlernte und mit der er fast ein Vierteljahrhundert lang in intensivem Briefkontakt stand. Erst die Hochzeit Ebners mit Maria Mizera ließ diesen regen Briefwechsel erlahmen. Im Mai 1931, kurz vor seinem Tod kam es noch einmal zu einer Annäherung an seine langjährige Lebensfreundin.

Eine weitere wichtige Figur in Ebners Leben war der Komponist Josef Matthias Hauer. Obwohl Ebner und Hauer gemeinsam das Lehrerbildungsseminar in Wiener Neustadt besuchten, wurden sie erst ab dem Jahr 1907 besser bekannt, als sie sich regelmäßig mit Lehrerkollegen im Kaffeehaus in Wiener Neustadt trafen und rege Diskussionen führten. Ihr gemeinsames Interesse für die Musik verband sie und inspirierte sie gegenseitig. Ebner machte z.B. Hauer auf Hölderlin aufmerksam, was diesen animierte, Hölderlinlieder zu komponieren. Daraufhin war es Ebner jahrelang nicht möglich, bestimmte Gedichte Hölderlins zu lesen, ohne Hauers Melodien mitzuhören. Trotz der zunehmend brüchiger werdenden Freundschaft erstellte Ebner 1919 eine Analyse von Hauers “Apokalyptischer Phantasie”. Ein Jahr später kam es aber aufgrund persönlicher Differenzen und aufgrund unterschiedlicher Auffassungen darüber, was den menschlichen Geist ausmache – Ebners Wort gegenüber Hauers musikalischer Intuition – zum Bruch zwischen den beiden.

Eine weitere wichtige Person in Ebners Leben war die Brenner-Autorin Hildegard Jone, die Ebner auf ihre Einladung hin im Juni 1929 persönlich kennenlernte. Sie vermochte es, Ebner wieder die Kunst als berechtigten Ausdruck menschlichen Lebens näher zu bringen, so dass Ebner am Ende seines Lebens seinen rigorosen Kulturpessimismus aufgab.

Neben diesen drei wichtigen Personen in Ebners Leben waren für ihn noch weitere Personen von Bedeutung, wenn auch nicht in denselben Ausmaß, wie z.B. der Philologe Josef Räuscher und der Kunsthistoriker Ludwig Zeitlinger, die Ebner in seinen Waldegger Jahren als Studenten kennenlernte, der später an das Bauhaus berufene Maler Johannes Itten, dem Ebner über Hauer begegnete und seine Gablitzer Lehrerkollegen Heinrich Schach und Franz Atzinger. Trotz dieser Freundschaften und Verbindungen, führte Ebner insgesamt ein zurückgezogenes Leben und wurde gerade in Gablitz als Außenseiter angesehen.

Seine geistige Entwicklung teilt Ebner in seinen “Lebenserinnerungen” in mehrere Perioden ein. Die Erste davon ist eine „poetische Periode“, die von ihm selbst später so beschrieben wird: “Und dann setzte sich ein verderblicher Wahn in mir fest, den ich vierzehn Jahre lang nicht losbrachte: Ich bildete mir ein, zum ‘Dichter’ geboren zu sein. Als ‘Dramatiker’ fing ich an, machte aber bald nur mehr Gedichte, selbstverständlich herzlichst schlechte.” Diese poetischen Bemühungen wurden von einer sehr intensiven Dichterlektüre begleitet, wobei nicht nur viele Klassiker aus dem deutschen Sprachraum darunter fielen, sondern auch französische und angelsächsische Dichter.
Nach dieser poetischen Periode folgte eine philosophische Phase: “Ich dürfte im 28. Jahre gewesen sein, als ich den Wahn, ein ‘Dichter’ zu sein, endgültig von mir abgeschüttelt hatte. Nun begann ich – vielleicht stark unter dem Einfluss der Weiningerlektüre – mich auf den ‘Philosophen’ um- und einzustellen.” An die Stelle der Dichter rückten nun die Philosophen in den Fokus von Ebners Aufmerksamkeit, deren Werken er sich mit derselben Intensität widmete. Inspiriert durch die Lektüre versuchte sich Ebner auch selbst als Philosoph und schrieb an einer “Philosophie des Lebens” mit dem Titel “Ethik und Leben”, die jedoch unvollendet blieb.

Den entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben sieht Ebner in seiner Hinwendung zum Christentum: “Mitten im Krieg – ich war im 35. Lebensjahr – begann die bedeutsame Wendung zum Christentum … Im Winter nach dem Kriegsende schrieb ich mein Buch, das im Herbst 1921 im Brennerverlag erschien und dem dann nur noch sieben Brenner-Aufsätze folgten, deren letzter 1926 – also sieben Jahre nach dem Abschluß der Fragmente – geschrieben wurde.” Diese Hinwendung zum Christentum, die in etwa im Jahr 1916 erfolgt sein dürfte, wurde vor allem durch die Lektüre des dänischen Denkers Sören Kierkegaards bewirkt und bedeutete keineswegs einen Schritt in eine kirchlich gebundene Konfessionalität, sondern war im Bemühen entstanden, der tief empfundenen Sinnlosigkeit des eigenen Lebens und der Hilflosigkeit gegenüber den schrecklichen Ereignissen der Zeit eine Zukunftsperspektive entgegenzusetzen. Ausdruck und Ergebnis der Wende wurde Ebners Hauptwerk Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumatologische Fragmente, in dem er eine neue, dialogische Sprachauffassung entwickelt, die von der radikalen Forderung nach einer “Ich-Du-Beziehung” unter Ausschluß jeglicher ästhetischer Momente ausgeht. Diese Forderung kann gemäß Ebner im gesprochenen, an ein Du gerichteten Wort verwirklicht werden.

Über Haeckers Vermittlung, auf den Ebner durch seine Kierkegaard-Übersetzungen im Brenner aufmerksam wurde, kam es zur Bekanntschaft mit dem Herausgeber dieser Zeitschrift, Ludwig von Ficker, der sich von Ebners Werk sofort angesprochen fühlte. So wurde Ficker Ebners Verleger, Förderer und während des Sommers 1920 – als Ebner zum ersten Mal bei Ficker in Mühlau war – auch zu seinem Freund. Mit der Publikation von Ebners Schriften konnte Ficker die neue Linie des Brenner, nämlich die bereits durch Haecker begonnene Orientierung am Christentum weiter verfolgen und ihr neues Gewicht verleihen. Ebner und Haecker gerieten damit aber notwendig in Konflikt mit Carl Dallago, dem bisherigen Hauptmitarbeiter des Brenners, der eine von Nietzsche und Walt Whitman geprägte Naturreligion vertrat. Die Auseinandersetzungen, die zum Spannendsten und Besten gehört, was im Brenner publiziert wurde, führten beinahe zum Einstellen der Zeitschrift. Auch das Verhältnis Ebners zu Karl Kraus, der bisher das große Vorbild für den Brenner war, war nicht ohne Spannungen. Kraus hatte Ebner zwar stark beeinflusst und wurde von ihm auch weiterhin als “Diagnostiker für die Krankheit dieser Zeit” geschätzt. Aber eine Heilung hielt er durch Kraus nicht möglich, sondern sah vielmehr den “Arzt” in Kierkegaard. Diese tiefen geistigen Konflikte trug Ebner aus, ohne Dallago oder Kraus persönlich kennenzulernen.

Noch vor dem Erscheinen von Ebners Hauptwerk im Brenner-Verlag im Jahr 1921 erschienen einzelne Fragmente im Brenner: “Fragment über Weininger” (Oktober 1919), “Kultur und Christentum” (Dezember 1919), “Das Wort und die geistigen Realitäten” (April 1920) und “Das Urwort der Sprache” (August 1920). Zugleich verfasste Ebner auf Betreiben von Ficker eigene Aufsätze für den Brenner: “Das Kreuz und die Glaubensforderung” (Februar 1920), “Wort und Menschwerdung” (Juni 1920), “Glossen zum Introitus des Johannes-Evangeliums” (Jänner 1921), “Das Wissen um Gott und der Glaube” (Juni 1921), “Die Christusfrage” (Spätherbst 1922), “Ärgernis der Repräsentation” (Spätherbst 1922), “Die Wirklichkeit Christi” (Herbst 1926), “Zum Problem der Sprache und des Wortes” (Ostern 1928). In diesen Aufsätzen geht Ebner im wesentlichen nicht vom Grundgedanken seines Hauptwerkes ab. Erst die Begegnung mit Hildegard Jone führte – wie bereits erwähnt – zu einer Lockerung seines rigorosen Grundgedankens und befreite ihn aus seiner Kunstaskese. Dieser neue “freiere” Geist spricht aus “Wort und Liebe”, Ebners letzter Schrift. Am Ende seines Lebens gelang Ebner auch die Versöhnung mit der katholischen Kirche in Gestalt des neuen Gablitzer Pfarrers Heinrich Hofstätter, den er an sein Sterbebett kommen ließ.

© Monika Seekircher

Das Ebnersche Denken

Ferdinand Ebner zählt zu den bedeutendsten österreichischen Denkern des 20. Jahrhunderts. In seinem Hauptwerk Das Wort und die geistigen Realitäten: Pneumatologische Fragmente verbindet er den die Philosophie am Beginn des Jahrhunderts kennzeichnenden “linguistic turn“ mit der Existenzphilosophie Kierkegaards zu einem neuen Ansatz, mit dem er traditionelle philosophische Probleme (z.B. die “Existenz des Anderen”) zu lösen versucht und die christliche Theologie auf eine neue Grundlage stellt. Im Mittelpunkt seines “dialogischen Denkens” steht die Annahme, dass – anders als in der Philosophie von Descartes oder der Deutschen Idealisten – das Bewußtsein des menschlichen Individuums nicht isoliert existiert, sondern in Relation zu einem Du steht, von dem seine Existenz abhängig ist. Das Du, mit dem das menschliche Ich letztlich verbunden ist, ist das Du Gottes. Seinen Grundgedanken verbindet Ebner mit eingehenden Erörterungen über die zentrale Funktion der Sprache. Für ihn ist die Sprache im Bereich der geistigen Realitäten von Ich und Du kein Vehikel zur Bezeichnung von Dingen, sondern eine die Personalität des Menschen schaffende Kraft. In der Sprache erhält die Beziehung zwischen Ich und Du ihren objektiven Ausdruck, während sie in der Liebe, die ebenfalls den Menschen zur ersten bzw. zweiten Person macht, ihren subjektiven Ausdruck erhält.

Bio-bibliographischer Überblick
1882-01-31 Geboren in Wiener Neustadt
ab 1888 Volksschule
ab 1896 Lehrerbildungsseminar Wiener Neustadt
1900-1901 Unterbrechung (“Lugenspitzenkatarrh”)
  Sanatorium Gleichenberg (4 Wochen)
  Sanatorium Alland (5 Monate)
1900-03-18 Bekanntschaft mit Luise Karpischek
1902 Abschluss Lehrerbildungsanstalt
ab 1902 Volksschullehrer in Waldegg
1904 Gedicht “Golgatha”
ab 1907 enge Bekanntschaft mit Josef Matthias Hauer
Sommer 1907 erstmalige Lektüre von Weininger: Geschlecht und Charakter
1909-1905 “Dialog über den Spiritismus” (verschollen)
1909-1907 Arbeit an Wahn und Wirklichkeit
ab Herbst 1909  Arbeit an Zur Psychologie (und Metapsychologie) des genialen Menschen (“Abbruch vor Vollendung”, verschollen. Fragmentarisch in Notizheften erhalten.)
1910-1911 Arbeit an Aphorismen zu einer Philosophie des Lebens
1911-1912 Arbeit an Aphorismen zur Ethik (Abschluss April 1912)
1912 Versetzung nach Gablitz
1912-1914 Arbeit an Ethik und Leben: Fragmente einer Metaphysik der individuellen Existenz
  Kriegsdienstuntauglich
1916 “Fragment aus dem Jahre 1916”
1918 Arbeit am Kriegstagebuch
1918-03 Begegnung mit Adolf Loos
1919 Arbeit an Das Wort und die geistigen Realitäten: Pneumatologische Fragmente(Abschluss Entwurf: 1. März, Abschluss Reinschrift 1: 12. April)
1919-05 Begegnung mit Johannes Itten
1919-06 “Josef Hauers Apokalyptische Phantasie”
1919-07-25 Haecker empfiehlt WgR an Ficker
1919-10 “Fragment über Weininger” (WgR)
1919-12 “Kultur und Christentum” (WgR)
1920-02 “Das Kreuz und die Glaubensforderung”, erschienen in Brenner, VI. Folge, Heft 3, Februar 1920, S. 200-215
1920-04 “Das Wort und die geistigen Realitäten” (WgR)
1920-06 “Wort und Menschwerdung”
Sommer 1920 Bei Ludwig von Ficker in Innsbruck
1920-08 “Das Urwort der Sprache” (WgR)
1920-11 Persönlicher Bruch mit Hauer
1921-01 “Glossen zum Introitus des Johannes-Evangeliums”, erschienen in: Brenner, VI. Folge, Heft 8, Januar 1921, S. 563-589
1921-06 “Das Wissen um Gott und der Glaube”
Sommer 1921 Bei Ludwig von Ficker in Innsbruck
Herbst 1921 WgR erscheint im Brenner-Verlag
Sommer 1922 Bei Ludwig von Ficker in Innsbruck
Herbst 1922 “Die Christusfrage”, erschienen in: Brenner, VII. Folge, 2. Band, Spätherbst 1922, S. 3-62
Herbst 1922 “Ärgernis der Repräsentation”, erschienen in: Brenner, VII. Folge, 2. Band, Spätherbst 1922, S. 209-225
1923-10 Bei Ludwig von Ficker in Innsbruck
1923 provisorische Leitung der Volksschule Gablitz
1923 zwei Selbstmordversuche (März und Mai)
  Sanatorium Hartenstein
1923-10-07 Heirat mit Maria Mizera
1923-11-01 Frühzeitiger Ruhestand
1924-08 Geburt von Sohn Walter
Herbst 1926 “Die Wirklichkeit Christi”, erschienen in: Brenner, X. Folge, Herbst 1926, S. 3-53
Ostern 1928 “Zum Problem der Sprache und des Wortes”, erschienen in: Brenner, XII. Folge, Ostern 1928, S. 3-50
1929 Arbeit an Versuch eines Ausblicks in die Zukunft
1929-06 Begegnung mit Hildegard Jone
1931 Aphorismen 1931
1931-10-17 Ebner stirbt in Gablitz
Bibliographie

Eine neu überarbeitete, deutschsprachige Ebner-Bibliographie ist derzeit in Arbeit.

Bis zur Fertigstellung verweisen wir auf die gegenwärtig umfangreichste Ebner-Bibliographie von Anita Bertoldi:

Anita Bertoldi: “Bibliografia di Ferdinand Ebner”, Dialegesthai. 2001–2004. ISSN 1128–5478. Zugriff: 2007-06-25.