„Steht der Tod als Nichtereignis eines Lebens einsam für sich, oder ist er aufgehoben in einer grundlegenden Ich-Du-Beziehung, welche das Leben des Menschen erst zum Menschenleben macht? Die Stellung zu diesem Fragenkomplex zeigt die Möglichkeiten von Ebners dialogphilosophischenBemühungen und eines „solus ipse“ als Ausgangspunkt Wittgenstein’schen Denkens. Es fragt sich, in wieweit die beiden Positionen zueinander geführt werden
können und sollen.“ (Johannes Leopold Mayer)

Bloß ein Ereignis seiner selbst oder doch eines des Lebens? Ludwig Wittgenstein und Ferdinand Ebner über den Tod. Eine Étude

Johannes Leopold Mayer

Vortrag am 14.8.2015, um 14:30 Uhr, beim 38. Internationalen Wittgenstein Symposium in Kirchberg am Wechsel, Niederösterreich_

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Österrreichischen Ludwig-Wittgenstein-Gesellschaft.

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„Media in vita morte sumus“. So lautet des Initium einer dem sanktgaller Dichtergelehrten Notker Balbulus (840-912) zugeschriebenen Antiphon. Um 1200 zitiert Hartmann von Aue diese Beginnzeile in seiner Verserzählung „Der arme Heinrich“, hinzufügend:

„daz diutet sich alsus,
daz wir in dem tôde sweben,
so wir aller beste wænen leben.“ (Hartmann 1966, V.93ff)

In diesen Überlegungen erscheint das mit seiner eigenen Mitte im Tode schwebende Leben gleichsam als Eeignis dieses Todes, in dessen scheinbare Permanenz es eingebettet wird. Dies ist so
ausweglos-tragisch nicht, wie es ein erster Eindruck vermittelt. Denn dieses „todesschwebende Leben“ ereilt ebendiesen Tod, sodass der Tod die Lebenden eben letztendlich nicht als Totalvernichter ereilen kann. Folgerichtig deutet Hartmann den anfänglich eingeführten Gedanken derart, indem er seine Erzählung letztendlich als einen Sieg der Liebe und damit des Lebens gestaltet.

Dieser selbstredend christlich gedachte Lebenstriumph steht im scharfen Gegensatz zu einer der wirkmächtigsten Beschreibungen des Verhältnisses zwischen Leben und Tod, nämlich jener des Epikouros, welcher auch dem Mittelalter gut bekannt war und der durchaus tröstlich meint: „Ὁ θάνατος οὐδὲν πρὸς ἡμᾶς· τὸ γὰρ διαλυθὲν ἀναισθητεῖ͵ τὸ δ΄ ἀναισθητοῦν οὐδὲν πρὸς ἡμᾶς.“ (Diog. L. X, 139).

Der Grieche konstatiert bei jenen, welche anderer Ansicht sind und deshalb Todesfurcht empfinden ein falsches Götterverständnis.
Als deutliche Schärfung des epikouräischen Gedankens erscheint Ludwig Wittgensteins Feststellung: „Der Tod ist kein Ereignis des Lebens.“ (TLP 6.4311) Das Radikalere tritt zutage in einer grundlegenden Feststellung des Nichtseins zum Sein des Anderen. Diese Qualität eines Nichtseins mag dem Tod als dem Auslöscher alles Seins angemessen sein. Aber das Leben als Sein schlechthin, wie kann ihm, und sei es nur im Hinblick auf etwas scheinbar Gegensätzliches, eine Nichtseinsqualität zugesprochen werden? Hilft es, sich von Nicolaus Cusanus sagen zu lassen: „Mirabilis Deus, in quo non-esse est essendi necessitas.“ Dies deswegen, „nam non-esse cum possit esse per omnipotentem, utique et actu, quia absolutum posse est actu in omnipotente“ und „quia non-esse in tuo posse esse habeat.“ (Kues 2002, §25-29)

Nichtsein muss also sein können, um Nichtsein sein zu können. Die Differenz von Sein und Nichtsein wird im notwendigen Seinkönnen aufgehoben. Diese Vorstellung ist für’s Erste wohl viel weniger tröstlich als jene des Epikouros, eben wegen dieser Differenzaufhebung. Denn im Sein durch das Könnensein sind Leben und Tod gleichermaßen ein Ereignis des seienden Menschen.
Nun denn ja: derart ist der cusanische Seinsnotwendigkeitsbegriff hilfreich, Epikouros‘ und Wittgensteins Standpunkte zu befragen, besonders des Österreichers weiteren Gedankenschritt: „Den Tod erlebt man nicht.“

Genügt das, um getröstet zu sein, zumal unter der Voraussetzung eines Todeswissens? Hinsichtlich des Erlebens „mag man die Frage aufwerfen, ob ein Individuum, das Bewusstsein hat, dadurch nichts anderes sei als ein ‚Zuschauer‘ beim Ablauf seines Lebens und auch des Weltgeschehens, in welches seine Existenz eingebettet und verflochten erscheint; ob nicht vielmehr die Tatsache des Bewusstseins die Aufforderung zum ‚Mittun‘ impliziere, eine Manifestation der ‚Freiheit‘ also sei. Ferner hat jedenfalls…der Mensch ein besonderes Erlebnis an seinesgleichen, das sich innerhalb seines Welterlebens deutlich abhebt und in ihm nicht restlos aufgeht. Das Eigentliche dieses Erlebnisses ist nun,…daß der Mensch, der ein Wissen vom Tod hat, auch im Toten noch seinesgleichen erlebt.“ (Ebner 2009, 75f)

Wittgensteins österreichischer Zeitgenosse Ferdinand Ebner, wie jener Volksschullehrer in Niederösterreich, wiewohl bis zur Pensionierung, konstatiert beim Menschen eine grundsätzliche Möglichkeit ambivalenten Verhaltens bezüglich seines Umganges mit Leben und Tod. „Jeder hat die Gewißheit seines Sterbens, nur will nicht jeder vom Sterben wissen.“ (Ebner 2009, 178) Auf diese Weise kommt ihm das Verhältnis zu sich selbst und zu Gott abhanden und „er lebt ganz und gar in der Zeit und geht in der Zeitlichkeit dieses Lebens auf – und unter.“ Damit wird aber auch die vom Menschen eingemahnte Forderung nach Lebenssinn durch ihn selbst obsolet (Ebner 2009, 177f).

Ist dieses Obsoletwerdenlassen ein Akt, durch welchen sich ein Subjekt vor einem Erlebnis schützend zurückzieht, um der Seinshaftigkeit auch des Nichtseins und somit der Seinshaftigkeit von Leben und Tod nicht gewahr, von ihr nicht bedroht zu werden? Das wäre dann gemäß Ebner eine verhindernde Verweigerung eigener subjektiver Erlebnisfähigkeit durch Abwehr eines Erlebens. Denn: „Alles Erleben ist im erlebenden Subjekt…gleichsam ‚vorgebildet‘…Allem Erleben liegt im Subjekt ein Bedürfnis zugrunde, dem das Erlebnis selber – in seiner Objektivität und seinem Vonaußenkommen – entspricht oder auch nicht entspricht.“ (Ebner 2009, 56)

Verweigerung des Erlebens bedeutet aber eine Verweigerung einer Form des Seins. Denn gemäß Ebner gibt es eine Art des Seins als „Sein der Welt und der Dinge in ihr, das von der philosophischen Besonnenheit als Erlebtwerden erkannt wird.“ (Ebner 2009, 140)

Ist demnach von Erlebnisverweigerung zu sprechen, welche noch dadurch auf die Spitze getrieben ist, als der Ereignischarakter ja ausschließlich im Hinblick auf das Leben verneint wird und keineswegs auf jegliches Andere bezogen? Das ließe nämlich allenthalben die wiewohl seltsame Deutung zu, der Tod sei bloß ein Ereignis des Menschen, und dies lebensunabhängig. Wie könnte denn sonst ein Mensch über seinen Tod wissen – und dass er dies tut liegt auch für Wittgenstein schließlich auf der Hand. „Daß…die Erscheinungen des Todes, der Geburt & des Geschlechtslebens. Kurz alles was der Mensch jahraus jahrein um sich wahrnimmt, in mannigfaltiger Weise mit einander verknüpft, in seinem Denken (seiner Philosophie) & seinen Gebräuchen auftreten wird, ist selbstverständlich oder ist eben das was wir wirklich wissen & interessant ist.“ (Rothhaupt 2011, §133)

Hier wird demnach der Todesgewissheit keineswegs mit Wissensverweigerung begegnet. Aber ein solches Wissen scheint nicht fruchtbar werden zu können, da man „den eigenen Tod nur voraussehen und vorausschauend beschreiben nicht als Gleichzeitiger von ihm berichten kann.“ (Rothhaupt 2011, §82)

Diese gewiss einsichtige Bemerkung Wittgensteins belegt den lebensunabhängigen Ereignischarakter des Todes für den Menschen. Das vorausschauende Beschreiben ist jedoch letztendlich eine Fähigkeit, welche zu bestimmter Zeit sucht, was in dieser nur vorausgesehen werden kann. Dies wäre die Aufgabe der Epiker. Deren „Sprache der Voraussicht“ ist aber mit Notwendigkeit eine dunkle „und für die wenigsten verständlich.“ (Rothhaupt 2011, §82)

Wittgenstein setzt hier vergleichend die Beschreibung des Ganzen eines Menschenlebens mit jenem einer bestimmten Kultur und von deren Eigenständigwerdung bis zum todbringenden Höhepunkt in Eines. Bemerkenswerterweise handelt es sich dabei um Themenkomplexe, welche gemäß Wittgenstein „der abendländischen Philosophie verloren“ sind (Rothhaupt 2011, §82).

Staunen macht es, dass etwas von Wittgenstein als solches bezeichnetes Interessantes und von uns Gewußtes für ihn ein Gegenstand der Kunst ist, weil die Philosophie dergleichen nicht zu handhaben vermag. Staunen deshalb, weil Wittgenstein sein eigenes philosophisches Nichtkönnen im Können der Kunst – er macht es mit Beethoven und Goethe individuell benennbar – aufgehoben sieht. Und gibt ihm nicht Hartmann von Aue recht, wenn er zu Beginn seines „Armen Heinrich“ erklärt:

„Er nam im manige schouwe.
an miselîchen buochen.
daran begunde suochen
ob er iht des vunde
dâ mite er swære stunde senfter machen
und sô gewanten sachen
daz gotes êren töhte
und dâ mite er sich möhte
gelieben den liuten.
nu beginnet er in diuten
Ein rede die er schreiben vant.“ (Hartmann 1966, V.6-17)

Beachtenswerter Weise baut der Dichter die Fiktion auf, dass er etwas vorgefundenes Geschriebenes nun selbst schreibend für die Lesenden „deutet“. Er spannt ein dialogisch-trialosgisches Netz vom „Vorgefundenen“ zu sich, von sich zu den Lesenden und somit von den Lesenden zum „Vorgefundenen“. In diesem dialogisch-trialogischen Netz ist das Thema von Tod, Liebe und Leben abhandelbar.

Es kann gefragt werden, ob Wittgenstein nach einem dialogischen Netz Sehnsucht empfindet, welche er mit den Begriffen „Philosophie“ und „Epiker“ zwar objektiviert, aber sie durch seine Ansicht über Beethoven und Goethe ebenso als subjektiv-individuelle Ich-Du-Beziehung ausweist? Eine Bejahung dieser Frage würde ihn nahe an Ebner heranführen. Jener ist ja – noch vor Martin Buber – der Pionier einer dialogischen Ich-Du-Philosophie. Es ist diese ebner’sche philosophische Denkweise, welche zum Schluss kommt, dass der Mensch ein besonderes Erlebnis an seinesgleichen hat und demnach einen toten Menschen gleichermaßen als seinesgleichen erlebt. Sind Beethoven und Goethe als „Epiker“ für Wittgenstein in dieser Weise als Verstorbene in ihrem Menschsein, welches für ihn Besonderes darstellt, erlebbar? Ließe sich anhand der Unterschiedlichkeit zwischen der Feststellung im „Tractatus“ und der Gedanken im „Kringel-Buch“ jener oft beschworene Unterschied zwischen dem „frühen“ und dem „späten“ Wittgenstein manifest machen?

Es wäre möglich, die „Tractatus“-Aussage vom Nichtereignishaften des Todes weiter auf die Spitze zu treiben, indem gesagt werden könnte: auch der Tod eines Toten – Beethoven, Goethe – ist kein Ereignis des Lebens, denn ich erlebe die Beiden ja nicht als in ihrem Tod und Totsein, sondern als Lebender in deren lebendiger Vorhandenheit als „Epiker“. So überspitzt ist diese Ansicht als eine im Wesen des Religiösen verankerte Aussagemöglichkeit keineswegs. Der Religionshistoriker Mircea Eliade begründet sie darin, dass der Tod für einen Verstorbenen „sowohl als ontologische wie gesellschaftliche Veränderung der Lebensform“ begreifbar ist. (Eliade 1998, 160)

Philosophisch lässt sich diese einem religiösen Bewusstsein angemessene Sichtweise vielleicht mit einer sensiblen Anwendung eines „ontologischen Vergehens-Begriffs“ veranschaulichen, wie dies Christian Kanzian in seiner „Alltagsontologie“ tut, um am Ende die wahrhaftige „Merkwürdigkeit“ zu konstatieren, dass „die personale individuelle Form auch in Anwendung dieses ontologischen Vergehens-Begriffs nicht als vergänglich ausgewiesen werden kann.“ (Kanzian 2009, 329)

Demgemäß wäre der allen Tod vorausschauende Epiker als er selbst in seiner Individualität nicht als vergänglich auszuweisen. Dieser kanzian’schen „Merkwürdigkeit“ haftet auch das Wesen des Unvollendeten, weil ontologisch nicht Beschreibbaren an. „Die Kenntniß der Individuen läßt sich nicht vollenden. Jedes Individuum ist ein neues Wort für Universum“ heißt es dazu bei Friedrich Schlegel (Schlegel 1991, 101).

Was in unserem Erkennen sich als unvollendet im Sinne dieser unserer Erkenntnis erweist, das ist aber nun was? Vielleicht doch nicht „tot“ im Sinne eines Lebensereignisses? Wie können wir aber dann mit Wittgenstein „wirklich wissen“ um die „Erscheinungen des Todes, der Geburt…“? Und dies „jahraus jahrein“, also stets mitten im Leben? Ist demnach das Leben ein mit Hilfe des Epikers vorausschaubares Ereignis des jahraus jahrein „gewussten“ und „interessanten“ Todes? Und wäre umgekehrt dieses Todeswissen wie jedes andere Wissen nicht doch ein Jahraus-Jahrein-Ereignis unseres Lebens? Lassen sich nicht die Negierung des Ereignishaften und die gesuchte Beziehung zum Epiker, welcher doch eigentlich nur ein Jahraus-Jahrein-Vorausschauen artikuliert, auf einen „objektiven“ Ausgangspunkt des Denkens zurückführen und dort begründen, einen Ausgangspunkt, welchen Ferdinand Ebner als „Ich-Einsamkeit“ beschreibt? In ihr wird selbst „die Idee des Göttlichen“ zur bloßen „Projektion des Ichs“, des einsamen (Ebner 2009, 29).Diese Projektion erkennt Gott selbstredend nicht in dessen Personalität eines „Du“ schlechthin. Und dieses – so wie jedes – „Du“ ist das, wonach das „Ich“ sich in seinem Erleben – auch jenem des Todes – auszurichten sehnt (Ebner 2009, 76). Aus dieser Sichtweise heraus kritisiert Ebner die mystische Setzung des Lebens Gottes durch mein „Ich“, wie sie etwa bei Angelus Silesius zutage tritt, welcher das Sein Gottes in aller Konsequenz – bis hin zum Zunichtewerden Gottes – vom Leben oder Zunichtewerden meines „Ich“ abhängig macht (Ebner 2009, 140).

Der von Ebner also kritisierte schlesische mystische Barockdichter gehört aber vielleicht doch bezeichnenderweise zu jenen Autoren, von denen Wittgenstein feststellt, dass man angesichts ihrer niemals eine Versuchung zur Anmaßung fühlen kann (Wittgenstein 2000, 41).

Das „solus ipse“ als Denkausgangspunkt sowie als Grundlage göttlichen Seins kann demnach wittgensteinisch gedacht bescheiden machen und somit weiterführend wirken. Dies umso mehr, als „Bescheidenheit eine religiöse Angelegenheit“ für Wittgenstein ist (Wittgenstein 2000, 35).

Diese Ansicht fände auch eine Zustimmung im ebner’schen Denken, in welchem die „rechte Demut des Geistes“, von welcher bei Wittgenstein hier unbedingt gesprochen werden kann, „in der Liebe“ liegt (Ebner 2009, 169).

Ist es im Falle Wittgensteins und hinsichtlich seines Denkens über den Tod eine zumindest im ebner’schen Sinne noch nicht fruchtbar gewordene Liebe, weil Demut und Bescheidenheit „in solo ipso“ gefangen bleiben? Denn, so Ebner, „wer sich selbst im Lichte einer Idee sieht – und mag er sie auch bis zur Idee des Göttlichen überspannen -, sieht sich noch lange nicht.“ Er kann sein „Ich“ nämlich in kein lebendiges Verhältnis zum „Du“ bringen (Ebner 2009, 169).

Für Sojemanden bleibt das icheinsame Leben todesereignislos, während für den Dusuchenden Leben und Tod die verschwisterten Gegebenheiten für den „Durchbruch“ in die Ewigkeit sind (Ebner 2009, 29).

Quid ergo? Lieben, Leben, Sterben ist eine trinitarisch-trialogische Kunst, die „ars amandi, vivendi et moriendi“, welche ein „Wissen darüber hervorbringt, daß alle Menschen gestern geboren wurden und morgen sterben werden, in der Zwischenzeit ihre Rolle im großen Spiel des Lebens möglichst gut, unaufdringlich spielen sollen“, wie es der österreichische Kulturhistoriker Friedrich Heer ausdrückt (Heer 1996, 114).

In wieweit ist diese Nonchalance im Wissen in Beziehung zu bringen mit Wittgensteins „selbstverständlichem wirklichem Wissen“ von Tod und Geburt? Bleibt dieses letztendlich doch zurückgescheucht in die Ich-Einsamkeit, wo das Todesereignis unwahrgenommen bleibt? „Wie furchtbar ist das Sterben für viele Menschen, die in ihrem Leben nie gelernt, nie erfahren haben, ‚das Zeitliche zu segnen‘, da dieses ihr Leben ungereift blieb.“ (Heer 2003, 330) Ungereift in seiner Icheinsamkeit, so ist diese Aussage Friedrich Heers hier zu begreifen.

Also nochmals: quid ergo? Spricht Ferdinand Ebner ein endgültiges Urteil mit seiner Feststellung: „Ob das Ich in seiner Einsamkeit sich selbst im Auge behält und die Welt bewußt entwickelt oder umgekehrt bloß die Welt, praktisch oder theoretisch ins Auge faßt und unbewußt sich selbst dabei entwickelt, beides läuft auf ein- und dasselbe hinaus: auf den geistigen Tod des Menschen. Der ist freilich in Wirklichkeit kein eigentlicher Tod, sondern ein ewiges Sterben, in dem das Geistige im Menschen niemals mehr zum Leben kommt – und doch auch niemals sterben kann.“ (Ebner 2009, 123)

Als Wittgenstein von Dr. Bevan hörte, dass er nur mehr wenige Tage zu leben habe, erwiderte er: „Gut!“

War das die letzte Mitteilung des Ich-Einsamen, welcher sich damit bereit machte zum ebner’schen „Durchbruch“ in den ewigen Ich-Du-Dialog – wenn Wittgenstein der Frau seines Arztes als allerletztes die Bitte vortrug „sagen Sie allen, daß ich ein wundervolles Leben gehabt habe“, eine Bitte, welche zur Gewährung der Ich-Du-Bezogenheit bedarf? Dürfen wir vielleicht dann denken, dass das Leben ein Ereignis des Todes ist und der Tod damit zwar kein Ereignis des Lebens, aber durch das Seinkönnen seines Nichtseinkönnens doch Sein und Ereignis in unserem Leben hat und sich auf diese seine Weise mit dem Leben verbindet zum „Durchbruch“ des Menschen in die Ewigkeit?

„Media in vita morte sumus“? Sind wir mitten im Leben auf dem Aufbruch zum „Durchbruch“?

(c) Johannes Leopold Mayer

Literaturverzeichnis:

Ebner, Ferdinand 2009: Das Wort und die geistigen Realitäten. Wien, LIT.

Eliade, Mircea 1998. Das Heilige und das Profane. Frankfurt/M, Insel.

Hartmann von Aue 1966: Der arme Heinrich. Stuttgart, Reclam.

Heer, Friedrich 1996: Der Kampf um die österreichische Identität. Wien. Böhlau.

Heer, Friedrich 2003: Das Wagnis der schöpferischen Vernunft. Wien, Böhlau.

Kanzian, Christian 2009: Ding-Substanz-Person. Eine Alltagsontologie. Heusenstamm, Ontos.

Nikolaus von Kues 2002: Trialogus de possest. Hamburg, Meiner.

Rothhaupt, Josef G.F.: Wittgensteins Kringel-Buch. München, Ludwig-Maximilians-Universität.

Schlegel, Friedrich 1991: Transzendentalphilosophie. Hamburg, Meiner.

Wittgenstein, Ludwig 1984: Werkausgabe Band 1. Frankfurt/M, Suhrkamp.

Wittgenstein, Ludwig 2000:Denkbewegungen. Frankfurt/M, Fischer

Dr. Johannes Leopold Mayer

Dr. Johannes Leopold Mayer
(Bild: Österreichischer Rundfunk)

Geb. 18.9.1953 in Baden/NÖ.

Studium der Geschichte, Musikwissenschaft und Philosophie an der Universität Wien, sowie Orgel und Gesang.

Seit 1981 Österreichischen Rundfunk (ORF), zunächst im Landesstudio Burgenland/Eisenstadt, 2001 Wechsel in die Musikredaktion des Kulturprogrammes Österreich 1.

In Eisenstadt lange Jahre Organist an den historischen Haydninstrumenten in der Spitals- und Franziskanerkirche, dann in Heiligenkreuz/NÖ.

Komponist von Kirchen- und Kammermusik, 2003 Uraufführung der Oper „Eine Wald- und Wiesengeschichte“.

Wissenschaftliche Publikationen zu Themen der österreichischen Kultur- und Religionsgeschichte, zur Philosophie, sowie zu Joseph Haydn, Anton Bruckner und Dmitrij Schostakowitsch.

Verheiratet mit der deutschen Sprachwissenschafterin und Slawistin Dr. Annelore Mayer.

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