Thomas Bernhard arbeitete an der Veröffentlichung der Schriften Ferdinand Ebners – das klingt doch recht überraschend. Und dennoch lässt sich diese Schlussfolgerung aus der Korrespondenz zwischen dem Schriftsteller und seinem Verleger Siegfried Unseld ziehen.

Auf das „Phänomen der Geistesverwandtschaft“ zwischen Thomas Bernhard und Ferdinand Ebner hat seinerzeit bereits Hans Rochelt aufmerksam gemacht. Auch andere, vor allem Erich Jooß und Sigurd Paul Scheichl. haben darüber geschrieben.

Wie gut Thomas Bernhard Ferdinand Ebner tatsächlich gekannt und was er von ihm gehalten hat ist dennoch schwierig auszumachen. Bekannte Erwähnungen Ebners in solchen Schriften Bernhards wie „Gehen“ oder „Holzfällen“ deuten nicht gerade auf profunde Kenntnisse des Ebner’sches Gedanken. Und die Meinungen der Protagonisten aus den literarischen Schriften können auch generell nicht unbedingt als tatsächliche Meinung des Autors festgelegt werden.

Auf alle Fälle kann man meinen, dass Bernhard das Interesse an Ebner in den 50ern (und übrigens auch die für Wittgenstein in den späteren Jahrzehnten) als „Modeerscheinungen“ sieht und den Snobismus der „gebildeten“ Gesellschaft sowie die mangelhafte Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Gedanken der Philosophen kritisiert („wie es Mode gewesen ist, Ferdinand Ebner zu lesen in Wien, haben sie Ferdinand Ebner gelesen, wie es heute Mode ist, Wittgenstein zu lesen, lesen sie Wittgenstein, aber sie lasen natürlich niemals Ferdinand Ebner und sie lesen heute nicht Wittgenstein, sie hatten vor dreißig Jahren die Ebnerbände nachhause getragen, wie jetzt die Wittgensteinbände, und reden darüber und lesen sie nicht…“ Holzfällen, S. 167f.). Er weiß dabei bestimmt, dass es sich um die Beziehung zwischen Wort und Realität handelt und dass Ebners Ansatz dem eines Wittgenstein in einem gewissen Gegensatz gegenüber steht. („Sie mit ihrem Ferdinand Ebner, […] ich mit meinem Wittgenstein zuerst, dann Sie mit Ihrem Wittgenstein und ich mit meinem Ferdinand Ebner.“ Gehen, S. 100).

Dass aber Thomas Bernhard Ebner doch hoch genug geschätzt hat, um ihn für eine geplante Anthologie der österreichischen Literatur vorzuschlagen, war keine bekannte Tatsache. Auf diese hat uns vor kurzem Karl Wucherer-Huldenfeld anhand seiner Lektüre von Bernhards Korrespondenz aufmerksam gemacht.

Am 15.09.1969 schrieb Bernhard an den Verleger Siegfried Unseld (Suhrkamp) über die geplante Ausgabe einer neuen Serie, der „Neuen Österreichischen Bibliothek“, in der die Werke der bedeutendsten Österreichischen Schriftsteller der Gegenwart präsentiert werden sollten. Laut dem Konzept von Thomas Bernhard:

Es sollten immer eine ältere, eine neuere Dichtung, ein Philosoph, ein Politiker, ein Maler und ein absoluter Narr zu Wort kommen, glaube ich. Zu dieser Auswahl haben wir dann die besten Leute zur Verfügung“.

Die ersten 6 Bände sieht er folgend:

Meine Vorstellung:

1 »Sonnenfinsternis« (Handke)

2 Aus d. alten Bibliothek

3 Wittgenstein

4 Ferdinand Ebner! (Hans Rochelt)

5 Karl Kraus »Gedichte« (Hamm)

6 Artmann

In diesem Zusammenhand verlangt er von Unseld, Hans Rochelt anzuschreiben

wegen Ferdinand Ebner, den Philosophen, der in Deutschland nahezu gänzlich unbekannt ist und aus dem Sie wahrscheinlich etwas so aussergewöhnliches machen können wie aus dem Wittgenstein“. (S. 134)

Aus der Sicht der Popularisierung der Ebner’schen Gedanken kann man nur bedauern, dass dieses geplante Vorhaben schließlich scheiterte.

Literatur:

Thomas Bernhard, Gehen, Frankfurt: Suhrkamp 1971.

Thomas Bernhard, Holzfällen. Eine Erregung, Frankfurt: Suhrkamp 1984.

Thomas Bernhard, Siegfried Unseld, Der Briefwechsel, Hrsg. von R. Fellinger u.a., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2009.

Hans Rochelt, Sprache und Verstörung. Zur Prosa von Thomas Bernhard. In: Literatur und Kritik 3, 1968, S. 38-43.

Erich Jooß, Aspekte der Beziehungslosigkeit. Zum Werke von Thomas Bernhard. (Diss. München 1975). Selb. Notos 1976, S. 43-44.

Sigurd Paul Scheichl, Thomas Bernhard, Ferdinand Ebner, eine Erregung, eine Miszelle, In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv, Nr. 3 (1984).

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